Streng vertraulich
Jeans und warf mir ein leicht fettiges und stark zerknittertes Blatt Papier auf den Schreibtisch.
»Was liegt da vor mir, Billy?«
»Jenna Angelines Bankreferenzen«, erklärte er. »Von unserer Zweigstelle in Jamaica Plain geklaut. Dort hat sie Dienstag einen Scheck eingelöst.«
Es war fettig, es war zerknittert, aber es war Gold wert. Jenna hatte vier Referenzen angegeben, allesamt privat. Unter »Arbeitgeber« hatte sie in kleiner, vogelähnlicher Schrift »selbständig« geschrieben. Bei den privaten Referenzen hatte sie vier Schwestern genannt. Drei lebten in Alabama, in der Gegend von Mobile. Eine wohnte in Wickham, Massachusetts. Simone Angeline, Merrimack Avenue, Hausnummer 1254.
Billy reichte mir ein weiteres Blatt Papier - die Kopie des Schecks, den sich Jenna hatte bar auszahlen lassen. Der Scheck war von Simone Angeline unterschrieben. Wenn Billy nicht so ein schleimig aussehender Penner gewesen wäre, hätte ich ihn geküßt.
Nachdem Billy gegangen war, faßte ich mir endlich ein Herz und sah in den Spiegel. Das hatte ich die ganze Nacht und den ganzen Morgen erfolgreich vermieden. Mein Haar ist so kurz, daß ich es mit den Fingern kämmen kann, deshalb beschränkte ich mich nach meiner morgendlichen Dusche darauf. Das Rasieren hatte ich mir auch gespart, und wenn ich ein paar Bartstoppeln hatte, so war das cool, sehr hip, sagte ich mir.
Ich durchquerte das Büro und betrat den winzigen Würfel, den mal jemand Badezimmer genannt hatte. Eine Toilette ist zwar drin, aber selbst die ist in Miniatur, und ich fühle mich immer wie ein in der Grundschule eingesperrter Erwachsener, wenn ich mit den Knien unterm Kinn auf dem Klo hocke. Ich schloß die Tür hinter mir und blickte vom winzigen Waschbecken zum Spiegel hoch.
Wenn ich es nicht gewußt hätte, daß ich es war, hätte ich mein Gesicht nicht erkannt. Meine Lippen waren auf doppelte Größe angeschwollen und sahen aus, als hätte ich einem Rasenmäher einen Zungenkuß gegeben. Mein linkes Auge war von einem dicken, dunkelbraunen Strang umrandet, die Netzhaut von hellroten Blutäderchen durchzogen. Die Haut an meiner Schläfe war da, wo mich Blaumütze mit dem Kolben der Uzi getroffen hatte, aufgeplatzt, und während ich schlief, hatte sich das Blut mit meinem Haar verklumpt. Die rechte Seite meiner Stirn, mit der ich offensichtlich gegen die Hauswand der Schule geprallt war, war abgeschürft. Ich hätte heulen können, aber ich war ja ein tapfere Detektiv.
Eitelkeit ist eine Schwäche. Ich weiß das. Es ist die oberflächliche Abhängigkeit von Äußerlichkeiten, vom eigenen Aussehen anstatt vom eigenen Sein. Das weiß ich gut. Aber ich besitze schon eine Narbe von der Größe und vom Aussehen einer Qualle auf meinem Bauch, und man wundert sich, wie sich das Selbstwertgefühl ändert, wenn man am Strand nicht das Hemd ausziehen kann. Wenn ich alleine bin, ziehe ich manchmal mein Hemd hoch, betrachte die Narbe und sage mir, es ist doch egal; aber jedesmal, wenn eine Frau sie spät in der Nacht mit der Hand erfühlt, sich auf dem Kopfkissen abstützt und mich danach fragt, habe ich schnell meine Erklärung zur Hand, schließe die Türen zu meiner Vergangenheit so schnell, wie sie sich geöffnet haben, und habe kein einziges Mal, nicht mal als Angie mich fragte, die Wahrheit gesagt. Eitelkeit und Unehrlichkeit sind vielleicht schlechte Eigenschaften, doch waren sie für mich auch die ersten Formen des Selbstschutzes, die ich kennenlernte.
Der Held schlug mir immer auf den Kopf, wenn er mich dabei erwischte, wie ich in den Spiegel schaute. »Diese Dinger wurden von Männern erfunden, damit Frauen etwas zu tun haben«, sagte er immer. Der Held. Der Philosoph. Mein Vater, der Renaissancemensch.
Als ich sechzehn war, hatte ich dunkelblaue Augen und ein hübsches Lächeln, ansonsten aber nichts, worauf ich stolz sein konnte, und ich hing in der Nähe des Helden herum. Wenn ich noch immer sechzehn wäre, in den Spiegel gucken würde, mir Mut machen und sagen würde, heute nacht würde ich mich endlich gegen den Helden zur Wehr setzen, dann wüßte ich sicherlich nicht mehr weiter.
Aber jetzt hatte ich, verdammt noch mal, einen richtigen Fall zu lösen, mußte Jenna Angeline finden, auf der anderen Seite der Tür wartete eine ungeduldige Kollegin, in meinem Halfter steckte eine Pistole, in meiner Brieftasche eine Detektivlizenz, und mein Gesicht sah aus, als sei es einem Buch von Flannery O’Connor entsprungen. Ach, die Eitelkeit.
Als ich die Tür öffnete,
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