Studio 6
sagte Berit. »Es sind so wenige wie möglich, und sie bewegen sich so wenig wie möglich.
Oftmals sind es nur zwei Techniker und vielleicht noch ein Ermittler von der Kripo.«
»Kann das der im Hawaiihemd gewesen sein?«
»Vielleicht«, sagte Berit. »Wenn du genau hinschaust, siehst du vielleicht, dass der eine Techniker die Hand an den Mund hält. Er geht mit einem kleinen Kassettenrecorder herum und spricht alles auf Band, was er am Fundplatz der Leiche sieht. Das kann eine Beschreibung sein, in welcher Position die Leiche liegt, das Aussehen der Kleidung und so weiter.«
»Sie hatte keine Kleider an«, sagte Annika.
»Dann liegen vielleicht Kleidungsstücke um sie herum, das wird dann auch dokumentiert. Wenn sie fertig sind, wird die Leiche in die Rechtsmedizin nach Solna gebracht.«
»Zur Obduktion?«
Berit nickte.
»Dann werden die Techniker hier bleiben und den ganzen Park durchkämmen. Sie werden ihn Zentimeter für Zentimeter durchgehen und Spuren von Blut, Speichel, Haaren, Fasern, Sperma, Fußabdrücken, Autoreifen, Fingerabdrücken sichern, was immer man sich denken kann.«
Annika saß einen Augenblick still da und beobachtete die Männer. Sie hatten sich zu der Leiche hinuntergebeugt, sie sah ihre Köpfe bei der grauen Wand des Plastiksacks zusammenkommen.
»Warum haben sie den Zaun überdeckt und nicht den Körper?«, fragte sie.
»Sie decken die Leiche am Fundort nicht zu, wenn die Gefahr besteht, dass dabei Spuren verwischt werden«, antwortete Berit. »Es geht immer nur um die Spuren, sie wollen so wenig wie möglich zerstören. Den Plastiksack haben sie nur aufgehängt, damit man nicht hineinschauen kann. Ziemlich schlau …«
Die Techniker und der Fotograf erhoben sich gleichzeitig.
»Jetzt ist es so weit«, sagte Berit.
Sie standen gleichzeitig mit den Journalisten, die ein Stück entfernt saßen, auf. Alle gingen wie auf ein geheimes Signal zur Absperrung vor. Die Fotografen brachten ihre Kameras in Anschlag und hängten sich ein paar Apparate mit unterschiedlich großen Objektiven über.
Es hatten sich noch weitere Journalisten der Gruppe angeschlossen, Annika zählte schnell fünf Fotografen und sechs Reporter, einer von ihnen, ein junger Mann, trug einen Laptop bei sich, auf dem das Logo des schwedischen Nachrichtensenders stand, eine Frau hatte einen Block von der
Südschwedischen Zeitung
dabei.
Der Mann und die Frau öffneten die Hecktüren des Leichenwagens und holten eine eingeklappte Bahre heraus. Mit ruhigen, methodischen Handgriffen klappten sie sie auseinander und sicherten sie an verschiedenen Haken. Annika bekam eine Gänsehaut. Kohlensäure stieg aus ihrem Magen auf, und ihr wurde übel. Jetzt würden sie bald die Leiche vorbeirollen. Sie schämte sich für ihre morbide Aufregung.
»Könnten Sie bitte etwas beiseite treten?«, fragte die Frau mit der Bahre.
Annika blickte auf die Bahre, die vorbeirollte. Sie vibrierte, als die Räder über die Unebenheiten des Asphalts ratterten. Obenauf lag eine blaue Plastikplane, ordentlich zusammengefaltet. Das Leichentuch, dachte Annika und spürte, wie ihr ein kalter Schauer den Rücken herunterlief.
Der Mann und die Frau zwängten sich unter der Absperrung hindurch. Das orangegelbe Schild, auf dem »Gesperrt« stand, schaukelte noch lange hin und her.
Die Träger waren jetzt bei der Leiche. Die Männer und die Frau standen zusammen und diskutierten. Annika spürte, wie die Sonne auf die Unterseite ihrer Arme brannte.
»Warum dauert das so lange?«, flüsterte sie Berit zu.
Berit antwortete nicht. Annika zog die Cola aus der Tasche und trank ein paar Schlucke.
»Ist doch furchtbar, oder?«, fragte die Frau von der
Südschwedischen Zeitung.
»Ja, allerdings«, erwiderte Annika.
Dann breiteten die Leichenträger ihre Plane über die Bahre, das blaugraue, glänzende Plastik flatterte zwischen den Blättern. Sie legten die junge Frau auf die Trage und wickelten sie in Plastik ein. Annika stiegen plötzlich Tränen in die Augen. Sie sah den lautlosen Schrei der Frau, ihren trüben Blick, die blau geschlagene Brust.
Ich darf jetzt nicht weinen, dachte sie und starrte auf die verwitterten Grabsteine. Sie versuchte Namen oder Jahreszahlen abzulesen, doch die Inschriften waren auf Hebräisch. Die verschnörkelten Zeichen waren von Wind und Zeit fast ausgelöscht worden. Alles war plötzlich sehr still. Sogar der Verkehr auf dem Drottningholmsvägen schien für einen Moment innezuhalten. Die Sonne blitzte durch die Kronen der
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