Studio 6
Block auf, und Spiken nickte ihr aufmunternd zu.
»Sieh mal einer an«, sagte er, »irgendwelche vor Schreck versteinerten Nachbarn?«
»Eine neunundzwanzigjährige Mutter eines Kleinkindes, die Daniella heißt. Sie wird nie wieder abends durch den Park gehen. ›Das hätte ich sein können‹, sagt sie.«
Spiken machte sich Notizen und nickte erfreut.
»Weiß man, wer sie ist?«
Annika presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Soweit wir wissen, nicht.«
»Dann hoffen wir mal, dass sie im Laufe des Abends den Namen bekannt geben. Haben Sie noch was anderes gesehen, irgendetwas, was darauf hinwies, wo sie wohnte oder so?«
»Vielleicht die Adresse auf die Stirn tätowiert? Tut mir Leid …«
Annika lächelte, Spiken reagierte nicht.
»Okay. Berit, Sie übernehmen die Jagd der Polizei auf den Mörder, wer das Mädchen war, sprechen mit den Angehörigen. Annika, schreiben Sie über die verschreckte Mutter und gehen Sie die Artikel über den alten Mord durch.«
»Ich denke, wir werden ein bisschen zusammenarbeiten«, meinte Berit. »Annika hat Informationen vom Tatort, die ich nicht habe.«
»Macht das, wie ihr wollt«, murmelte er. »Auf jeden Fall möchte ich, bevor ich um sechs übergebe, wissen, wie weit ihr gekommen seid.«
Er drehte sich auf dem Stuhl herum, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Berit klappte ihren Block zusammen und ging zu ihrem Platz.
»Ich habe die Zeitungsausschnitte bekommen«, sagte sie über die Schulter, »wir können sie gemeinsam durchgehen.«
Annika zog sich vom benachbarten Schreibtisch einen Stuhl heran. Berit holte ein Bündel vergilbter Zettel aus einem Kuvert, auf dem »Evamord« stand. Der Mord war offenkundig geschehen, ehe die Zeitung digitalisiert worden war.
»Alles, was mehr als zehn Jahre alt ist, gibt es nur im Papierarchiv«, sagte Berit.
Annika nahm eines der zusammengefalteten Blätter, das Papier fühlte sich spröde und steif an. Sie ließ den Blick über die Seite gleiten. Die in der Überschrift verwendete Type sah unregelmäßig und sehr altmodisch aus, der Druck war ziemlich schlecht. Ein schwarzweißes Bild, das über vier Spalten ging, zeigte den Park von der Nordseite.
»Ich habe mich richtig erinnert«, sagte Berit. »Sie wollte die Treppen hinauf, und irgendwo auf der Mitte hat sie jemanden getroffen, der auf dem Weg nach unten war.
Weiter kam sie nicht. Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt worden.«
Sie setzten sich an Berits Schreibtisch einander gegenüber und vertieften sich in die alten Artikel. Annika fiel auf, dass viele von Berit geschrieben worden waren. Der Mord an der jungen Eva wies tatsächlich viele Ähnlichkeiten zum aktuellen Fall auf.
An einem warmen Sommerabend vor fast zwölf Jahren war Eva den steilen Hügel hinaufgegangen, der die Verlängerung der Inedalsgatan bildete. Man fand sie direkt neben der siebzehnten Treppenstufe, halb nackt und erdrosselt.
Die gleich nach der Tat geschriebenen Artikel waren zahlreich und lang, die Bilder groß und oben auf der Seite platziert. Es gab Zusammenfassungen der Ermittlungen und des Obduktionsprotokolls, Interviews mit Anwohnern und Freunden, ein Artikel mit der Überschrift: »Lasst uns in Ruhe«. Das waren Evas Eltern, die sich über irgendetwas ausließen, sie hielten einander umarmt und schauten ernst in die Kamera. Es gab Demonstrationen gegen sinnlose Gewalt, vor allem gegen Gewalt gegen Frauen und Jugendliche, einen Gedenkgottesdienst in der Kungsholmskyrkan und Berge von Blumen am Tatort.
Seltsam, dass ich mich daran überhaupt nicht erinnern kann, dachte Annika. Ich war doch alt genug, um es mitzukriegen.
Je mehr Zeit nach dem Mord verstrich, desto kürzer wurden die Artikel. Die Bilder wurden kleiner und rutschten immer weiter nach unten. Eine Notiz dreieinhalb Jahre nach dem Mord berichtete, dass jemand verhört, aber wieder auf freien Fuß gesetzt worden sei. Dann war Stille.
Doch jetzt war Eva wieder ein Stoff für Neuigkeiten, zwölf Jahre nach ihrem Tod. Die Parallelen waren offenkundig.
»Was machen wir damit?«, fragte Annika.
»Nur eine kurze Zusammenfassung«, antwortete Berit.
»Im Moment können wir nicht viel mehr machen. Wir schreiben auf, was wir haben, du nimmst deine Mama und ich Eva. Danach sollte die Kripo etwas mehr vorkommen, da können wir dann anfangen, ein wenig herumzutelefonieren.«
»Haben wir es eilig?«, fragte Annika.
Berit lächelte.
»Nicht besonders«, sagte sie. »Deadline für Manuskripte ist morgen
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