Stürmische Begegnung
1
A n einem Montag Ende Januar fing alles an. An einem grauen Tag in einer grauen Jahreszeit. Weihnachten und Silvester waren vorbei und vergessen, und der Frühling hatte noch nicht angefangen, sein Gesicht zu zeigen. London war kalt und abweisend, die Geschäfte boten voll un gewisser Hoffnung Notwendiges „für die Kreuzfahrt in den Süden“ an. Die Bäume im Park zeichneten sich kahl, wie Ske lette, am verhangenen Himmel ab, und das plattgetretene Gras darunter war stumpf und tot, so daß man einfach nicht glaubte, es könne sich jemals wieder mit einem dichten Muster von lila und gelben Krokusblüten überziehen.
Es war ein Tag wie jeder andere. Der Wecker riß mich aus dem Schlaf in ein Dunkel, das nur durch die großen, gardinenlosen Fenster erträglich wurde, hinter denen ich die Krone der Platane sah, die vom gelblichen Schein einer fernen Straßenlaterne be leuchtet wurde.
In meinem Zimmer standen nur zwei Möbelstücke, die Schlaf couch, auf der ich lag, und ein Küchentisch, den ich abbeizen und mit Bienenwachs polieren wollte, wenn ich Zeit dafür hatte. So gar der Fußboden war nackt, Dielenbretter, die schutzlos bis zu den Sockelleisten liefen. Eine Apfelsinenkiste diente als Nachttisch, eine andere als Sitzgelegenheit.
Ich streckte die Hand aus, knipste die Lampe an und sah mich hochbefriedigt in der trostlosen Umgebung um. Sie war mein. Meine erste Wohnung. Ich war erst vor drei Wochen eingezogen, und sie gehörte ganz allein mir. Ich konnte mit ihr machen, was ich wollte. Die weißen Wände mit Postern bedecken oder orangefarben streichen. Die Dielenbretter abschmirgeln oder verschiedenfarbig lackieren. Ich hatte bereits ein besitzergreifendes Interesse an Trödelläden und Antiquitätengeschäften entwickelt und konnte an keinem vorbeigehen, ohne das Schaufenster nach irgendeinem Schatz abzusuchen, den ich mir vielleicht leisten könnte. Auf diese Weise war der Tisch in meinen Besitz gelangt, und ich hatte bereits ein Auge auf einen alten Spiegel mit vergoldetem Rahmen geworfen, allerdings bis jetzt nicht den Mut aufgebracht, in das Geschäft zu gehen und nach dem Preis zu fragen. Vielleicht würde ich ihn über den Kamin hängen oder an die Wand gegenüber vom Fenster, damit sich das Bild des Himmels und des Baumes in seinem verschnörkelten Rahmen spiegelte.
Diese angenehmen Vorstellungen nahmen eine ganze Weile in Anspruch. Dann blickte ich wieder auf die Uhr, sah, daß es spät wurde, stand auf und lief barfuß in die winzige Küche, wo ich die Gasflamme anzündete und den Wasserkessel aufsetzte. Der Tag hatte begonnen.
Die Wohnung war in Fulham, im obersten Stock eines kleinen Reihenhauses, das Maggie und John Trent gehörte. Ich hatte sie erst Weihnachten kennengelernt, als ich bei Stephen Forbes, sei ner Frau Mary und ihren vielen ungezogenen Kindern in ihrem großen und total unaufgeräumten Haus in Putney gewesen war. Stephen Forbes war mein Chef, der Besitzer der Buchhandlung in der Walton Street, wo ich seit einem Jahr arbeitete. Er war immer sehr nett und gefällig zu mir gewesen, und als er von den anderen Mädchen erfuhr, daß ich Weihnachten allein sein würde, hatten er und Mary sofort eine kategorische Einladung – in Wahrheit mehr einen Befehl – ausgesprochen, die drei Tage bei ihnen zu verbringen. Sie hätten jede Menge Platz, behauptete er, ein Zimmer auf dem Dachboden, ein Bett in Samanthas Zimmer, irgendwas würde sich bestimmt finden, es würde mir doch nichts ausmachen, nicht wahr? Und ich könnte Mary gut dabei helfen, den Truthahn zu begießen und das viele Geschenkpapier vom Fußboden aufzusammeln.
Das überzeugte mich. Ich nahm die Einladung schließlich an und bereute es nicht. Es gibt nichts Schöneres als Weihnachten im Kreis einer Familie, mit lauter Kindern und Krach und Papier und Geschenken und einem duftenden Tannenbaum, an dem glänzende Kugeln und liebenswerter selbstgebastelter Zierat hängen.
Am zweiten Weihnachtstag gaben die Forbes’ eine Erwachsenenparty, bei der wir allerdings fortfuhren, ziemlich kindliche Spiele zu veranstalten, und als die Kinder sicher im Bett waren, kamen die Gäste, auch Maggie und John Trent. Die Trents hatten erst kürzlich geheiratet. Maggie war die Tochter eines Dekans der Universität Oxford, den Stephen in seiner Studienzeit gut gekannt hatte. Sie war eine fröhliche, herzliche und mitteilsame Person; sobald sie das Haus betreten hatte, kam die Party in Schwung. Wir wurden miteinander
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