Stunde der Wahrheit
ihren bevorzugten Genres. Wäre dagegen ein ordentlicher Thriller oder Horrorfilm dabei gewesen, hätte sie ohne zu zögern zugestimmt.
»Dein Problem ist, dass du dich immer in die Gutaussehenden verguckst«, predigte Rachel und biss von ihrem mit Käse überbackenen Nacho ab. Emma lachte und wollte ihre Freundin daran erinnern, dass
ihre
Männerauswahl demnach auch nicht die Beste war, als ihr Blick zufällig zur Eingangstür ging. Sie wusste nicht, warum sie in diesem Moment aufgeschaut hatte, aber als sie einen hochgewachsenen schwarzhaarigen Mann eintreten sah, gefror ihr das Lächeln auf den Lippen.
»Hey, geht‘s dir gut?«, fragte Rachel, als sie Emmas Gesichtsausdruck sah.
»Du bist ja ganz blass.« Emma blinzelte und sah ihre Freundin hilflos an. Als Rachel erwartungsvoll die Brauen hob, deutete Emma zur Tür. Rachel folgte ihrem Blick und suchte den Eingangsbereich nach etwas Verdächtigem ab, konnte aber nichts Beunruhigendes entdecken.
»Was ist denn?« Doch Emma schüttelte den Kopf.
»Nichts, ich dachte, ich hätte jemanden gesehen. Für heute habe ich wohl genug getrunken«, wehrte sie ab und schob das halbvolle Glas beiseite. Rachel betrachtete Emma durch ihre Röntgenaugen, dann machte sich Erkenntnis in ihnen breit.
»Du meinst, du hast
ihn
gesehen!«
»Warum siehst du mich so vorwurfsvoll an?«, fragte Emma abwehrend, weil ihr der argwöhnische Blick nicht gefiel, mit dem ihre Freundin sie musterte.
»Ich kann doch nichts dafür.« Rachel seufzte und wandte sich noch einmal zur Tür. Emma nutzte die Gelegenheit, um ihre verschwitzten Hände an der Hose abzuwischen. Gottseidank hatte sie ihn sich nur eingebildet, dachte Emma und schloss erleichtert die Augen. Sie hätte nicht gewusst, was sie sonst getan hätte.
Zwanzig Minuten später lief Emma mit einem flauen Gefühl im Magen zur Toilette und bahnte sich einen Weg durch die überfüllte Bar. Sie lief geradewegs auf die WC-Räume zu, als sie mit jemand zusammenstieß.
»Uff«, machte Emma und taumelte zurück. Doch bevor sie ins Straucheln geriet, wurde sie am Arm gepackt und in die Senkrechte zurückgezogen.
»‘Tschuldigung«, sagte sie und schaute auf, als sie James vor sich stehen sah.
Das ist nicht wahr! Bitte lass es nicht wahr sein
, dachte sie und entzog ihm ihre Hand. Also hatte sie doch nicht halluziniert! Dort, wo er sie berührt hatte, pulsierte ihre Haut unangenehm. Es fühlte sich an, als hätte sie sich verbrannt. Sie umschloss die Stelle mit der Hand und sah mit einer Mischung aus Verachtung und Entsetzen zu ihm auf. Es war erst einen Moment her, dass sie ihn gesehen hatte, doch es kam ihr vor, als sehe sie seine dichten schwarzen Haare, die dunklen intelligenten Augen und seine elegante Kleidung zum ersten Mal. Sein Aussehen, und dafür hasste sie ihn nur umso mehr, traf sie wie ein Schlag. Als wollte das Schicksal sie mit dem verhöhnen, was sie niemals würde haben können.
Sie machte einen Schritt zurück und registrierte, wie ihr Herz verräterisch zu hüpfen begann.
Nach allem, was er dir angetan hat, schlägst du auch noch aufgeregt?
, dachte sie verächtlich und versuchte es mit bloßer Willenskraft zur Ruhe zu zwingen – natürlich erfolglos. Emma hatte sich schon unzählige Male ausgemalt, was sie ihm an den Kopf werfen würde, sollte sie ihm jemals wieder begegnen. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, ihm eine Ohrfeige zu verpassen, ihm zwischen die Beine zu treten und sogar anzubrüllen, doch als sich ihr Magen nun mit einem Ruck umdrehte, konnte sie nur eines tun. Sie brach vor ihm in die Knie und übergab sich direkt vor seinen schicken schwarzen Schuhen.
Oh mein Gott! Das ist nicht passiert! Das muss ein Traum sein!
, dachte sie schockiert. Das musste einer sein. Andernfalls hätte sie gerade dem Mann, der sie von vorne bis hinten belogen hatte, auf die Füße gekotzt! Emma war starr vor Entsetzen, konnte sich weder bewegen noch aufblicken. Sie überlegte fieberhaft, was sie tun sollte, musste ihm aber zugute halten, dass er nicht angeekelt zur Seite sprang oder eine abfällige Bemerkung machte. Stattdessen tat er etwas ganz anders. Sie spürte, wie sich zwei starke Hände unter ihre Achseln schoben und aufhoben.
Dann wurde die Tür zur Damentoilette aufgestoßen und Emma hineingeführt. Hätte sie noch ein Fünkchen Kraft besessen, hätte sie sich aus seinem Griff befreit oder zumindest gesagt, er solle verschwinden, doch alles, was sie von sich geben konnte, waren unregelmäßige Atemstöße. Ihre
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