Sturm der Herzen
Brief wäre am einfachsten.
Doch als er in seinem Arbeitszimmer hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte und auf das leere Blatt Papier vor sich schaute, den Federkiel in der Hand, stellte er fest, dass er keine Lust hatte, sich hinter einem bloßen Brief zu verstecken. Er steckte den Kiel in die Halterung zurück, schob seinen Stuhl von dem Schreibtisch aus Kirschbaumholz zurück und stand auf.
Der Tag war schön, perfekt für einen Ausritt, sagte er sich. Es gab keinen Grund, warum er nicht zu Manning Court reiten sollte und Isabel die Nachricht überbringen. Ein leises Lächeln spielte um seinen Mund. Und sie dabei beobachten, wie sie versucht, mir die zwei Stuten abzuschwatzen.
Fröhlich vor sich hin pfeifend verließ er das Zimmer und ging zu den Ställen zurück. Kurze Zeit später saß er auf einem schönen schwarzen Wallach und ritt durch die hügelige Landschaft, genoss das Zwitschern der Vögel und die frische Luft im gesprenkelten Schatten unter den alten Eichen.
Die Besitzungen der Mannings und der Denhams grenzten beide an die der Sherbrooks, und die drei Familien verband seit Generationen nicht nur die Nachbarschaft, sondern auch Freundschaft. Lord Manning war Marcus’ Nachbar im Norden, und Sir James, Isabels Onkel, im Osten; neben der öffentlichen Straße gab es mehrere Privatwege, die die Ländereien miteinander verbanden. Marcus nahm eine Abkürzung durch den Wald und ritt bald schon über Manning-Land.
Er war noch eine gute Strecke vom Haupthaus entfernt, als er laute Stimmen hörte. Er erkannte Isabels sogleich, auch wenn er nicht verstehen konnte, was sie sagte. Vom Klang her zu schließen war sie zornig und hielt irgendeiner armen Seele eine Standpauke, die sich gewaschen hatte. Allerdings war da ein Unterton in ihrer Stimme, etwas, das Marcus veranlasste, seinem Wallach die Fersen in die Flanken zu drücken, sodass er schneller trabte.
Als er näher kam, hörte er Isabel klar und deutlich sagen: »Und damit ist Schluss! Wenden Sie sich nie wieder an mich. Das nächste Mal werde ich die Hunde auf Sie hetzen!«
Das Brummen eines Mannes war zu vernehmen, dann rief Isabel: »Wie können Sie es wagen! Lassen Sie mich augenblicklich los, Sie Schuft!«
Marcus kam um die Biegung des schmalen Weges unter dem dichten Laub der Bäume und sah Isabel und einen stämmigen Mann, den er nicht kannte, vor sich auf einer kleinen Lichtung. Er erkannte aber den Typ: ehemaliger Soldat, wenn der Schnitt seines Haares und seines Rockes sowie der Stil, mit dem sein Halstuch geknotet war, als Indiz taugte. Zwei Pferde waren an einem nahen Baum festgebunden.
Es war für Marcus ganz offensichtlich, dass es sich um kein zufälliges Treffen handelte. Die beiden Gegner konzentrierten sich aufeinander, eine kurze Weile bemerkte keiner von ihnen etwas von Marcus’ Näherkommen. Der Mann hatte eine Hand fest um Isabels Oberarm geschlossen, und sie bemühte sich, sich von ihm loszureißen. Aus dem Augenwinkel sah Marcus ihr Gesicht und wusste, dass sie mehr wütend als verängstigt war. Trotzdem entdeckte er etwas in ihrer Miene, das ihm den Magen zusammenzog und seinen Beschützerinstinkt weckte.
Seine äußerliche Ruhe lief der heißen Wut zuwider, die ihn beim Anblick der Hand des Mannes auf Isabels Arm durchfuhr, als Marcus kühl erklärte: »Ich glaube, die Dame hat einen Wunsch geäußert. Ich schlage vor, Sie folgen ihm. Und zwar jetzt .«
Isabel drehte den Kopf, und ihre Augen wurden groß, als sie ihn nur wenige Schritt entfernt auf seinem schwarzen Pferd sitzen sah. Verlegenheit gemischt mit Furcht flog über ihre Züge, ehe sie sich wieder gefasst und eine höfliche Maske aufgesetzt hatte. Die Verlegenheit konnte Marcus verstehen. Aber Furcht? Gütiger Himmel! Sie hatte doch keinen Grund, ihn zu fürchten!
Der Fremde betrachtete Marcus, und was auch immer er in Marcus’ Gesicht sah, sorgte dafür, dass er seine Hand von Isabels Arm fallen ließ und einen Schritt zurückwich. Mit einem leicht gezwungenen Lächeln sagte der Fremde: »Es besteht kein Grund, mich mit Blicken zu durchbohren. Das hier ist nur ein kleines Missverständnis zwischen alten Freunden.« Er schaute Isabel an und bemerkte mit einem seidenglatten Unterton in der Stimme, bei dem sich Marcus sogleich die Nackenhaare sträubten: »Stimmt doch, oder, meine liebe Mrs Manning?«
Isabel nickte, aber sie wich Marcus’ Blick aus. »J-ja. Major Whitley w-war ein Freund von Hugh in Indien. Er war mehrere Jahre in der Nähe von Bombay
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