Sturm im Elfenland
dass er eigentlich einen Stock hätte benutzen müssen. Aber dazu war er natürlich viel zu stolz.
Alana hätte ihm gerne etwas Tröstliches gesagt, aber was konnte jemanden trösten, der etwas verloren hatte, das vorher selbstverständlich gewesen war? Sie wusste selbst nur zu gut, dass es keine Linderung für diese Art von Schmerz gab.
Das Einzige, was sie zuversichtlich stimmte, war die Gewissheit, dass die Zwerge großes Geschick darin besaßen, solche ungewöhnlichen Verletzungen zu heilen. Sverre hatte ihr versichert, dass es eine Art von Zwergenmagie geben würde, die Ivaylo helfen konnte.
Der König und sein Zauberer hatten ihre Eltern darum gebeten, sie und Ivaylo noch eine Weile im Schloss unter Beobachtung halten zu dürfen, zumindest so lange, bis sie die schlimmsten Folgen ihrer Reise ins Dämonenreich überstanden hatten, und alle gaben sich große Mühe, ihnen zu helfen und für sie da zu sein, wenn böse Erinnerungen und schlechte Träume sie zu sehr belasteten.
Ivaylo beschattete die Augen mit der Hand. »Schau mal, da kommt Garnet«, sagte er. »Ich wusste nicht, dass sie wieder hier ist.«
Alana drehte sich langsam um und winkte. »Doch, sie ist gestern Abend zusammen mit Aindru angekommen.« Sie lächelte ihrer Freundin herzlich zu. »Unsere Familie glaubt, dass wir hier im Schloss sonst zu einsam sind. Sie wechseln sich deshalb damit ab, uns zu besuchen.«
Ivaylo lachte und ließ sich ins Gras zurücksinken. »Ay, Garnet«, sagte er in den Himmel.
»Da sind ja die Turteltäubchen«, erwiderte Garnet munter und ließ sich neben sie fallen. »Wie geht es euch?«
»Bestens«, erwiderte Ivaylo. »Du kommst aber beinahe vergebens, wir werden nämlich morgen abreisen.« Er verzog den Mund. »In einer Kutsche.«
Garnet und Alana umarmten sich. »Du könntest doch ein Stück mitkommen«, flüsterte Alana. »Ich habe dich schrecklich vermisst.«
»Gerne«, sagte Garnet überrascht. »Meine Mutter erwartet mich nicht so schnell wieder auf dem Gut.« Sie blinzelte Alana zu. »Wie macht er sich? Bist du ihn noch nicht leid? Ich nehme ihn dir gerne eine Weile ab, das weißt du ja.«
»Redet ihr etwa über mich?«, fragte Ivaylo träge.
»Aber nein«, erwiderten die beiden Mädchen aus einem Mund. »Wie kommst du denn darauf?«, setzte Alana empört hinzu.
Die beiden Elfen vergnügten sich eine Weile damit, sich alle Neuigkeiten zu erzählen, die sich seit ihrem letzten Beisammensein ereignet hatten. Ivaylo döste ein.
Dann schreckte er hoch, denn eine Männerstimme rief nach ihnen.
»Onkel Munir«, antwortete Alana überrascht. »Wir sind hier!«
Wenig später kam der Zauberer heran und ihm folgte die strahlende, rotgoldene Gestalt des Königs.
»Ui«, stieß Garnet hervor und sprang auf. Sie machte einen ungeschickten Knicks.
»Bitte«, sagte Auberon ungeduldig, »kein Hofzeremoniell, wenn wir uns auf einer Obstwiese treffen, junge Dame.« Er lächelte, um seinen Worten jede Schärfe zu nehmen. Dann setzte er sich zu Alana und Ivaylo ins Gras, während Munir mit ein wenig Abstand hinter ihnen stand und sich bemühte, nicht zu breit zu lächeln.
»Ivaylo«, sagte Auberon. »Ich wollte, dass du der Erste bist, der es erfährt. Welche Nachricht möchtest du zuerst hören. Die gute oder die noch bessere?«
Alana hielt den Atem an und warf Munir einen schnellen Blick zu. Der Zauberer nickte ihr zu.
Ivaylo räusperte sich. »Die ... die gute«, sagte er heiser und verlegen.
Auberon legte den Kopf auf die Seite. »Bist du sicher? Nun denn. Die gute Nachricht soll dein Onkel dir überbringen. Munir?«
Der dunkle Zauberer kniete in einer schnellen Bewegung neben seinem Neffen nieder und legte seine Hände auf Ivaylos Schultern. Er sah den Jungen ernst an. »Ich darf dir ein Angebot machen«, sagte er. »Mein König erlaubt es mir, einen Lehrling auszubilden. Meine Wahl fiel auf dich.«
Ivaylo riss die Augen auf. Er war sprachlos. Alana schlug die Hand vor den Mund und stieß Garnet in die Seite.
»Lehrling«, stotterte Ivaylo. »Aber ‒ zaubern ist uns verboten.« Sein Blick flog zum König.
Auberon zog die Brauen zusammen. »Ich habe aufgrund der Geschehnisse des letzten Jahres viel nachgedacht«, sagte er finster. »Und Munir nimmt mich deswegen regelmäßig ins Gebet. Ich denke, ich habe damals einen großen Fehler begangen. Es ist mir in diesem Jahr bewusst geworden … vieles von dem, was geschehen ist, wäre zu verhindern gewesen oder gar nicht erst passiert, wenn ich dieses Verbot
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