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 Sturm im Elfenland

Sturm im Elfenland

Titel: Sturm im Elfenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frances G. Hill,
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hatten sich dort zwischen den Felsen einen Schlafplatz aus trockenem Gras bereitet. Dort saßen sie, während die untergehende Sonne eine rotgolden schimmernde Straße auf die Wellen zeichnete. Sie malten sich aus, wie sie auf dieser Straße hinüber ins Ferne Land wanderten, und über ihnen kreisten die Vögel und begrüßten mit heiseren Stimmen den Abend.
    Während Ivaylo in die hellen Möwenaugen des Elfen blickte, kehrten die Erinnerungen zurück wie Wellen, die an einen Strand schwappten und sich wieder zurückzogen.
    Calixto. Sein allerbester Freund. Sie waren zusammen kreuz und quer durch den Schattenwald gezogen und hatten jeden Winkel darin erkundet. Sogar in den Feuersumpf im dunkelsten Herzen des Waldes hatten sie sich gewagt und sie waren lachend, mit angesengten Haaren und rußverschmierten Gesichtern nach Hause zurückgekehrt.
    Warum hatte er sich nicht mehr an Calixto erinnern können? Wo waren die Erinnerungen an seine Eltern und sein Leben im Schattenwald? Sie tauchten auf und verschwanden wie die Nebelgeister, die in der Abenddämmerung zwischen flechtenbärtigen Baumriesen ihr Unwesen trieben.
    Calixto, wie er mit nackter Brust im Schnee vor ihrem Hausbaum stand. Er lachte, als Ivaylos Mutter Audra ihm eins von Farrans warmen Hemden gab, und bedankte sich. Ivaylo sah die Röte in seine breite Stirn steigen. Audra wartete, bis Calixto das Hemd übergestreift hatte, dann ging sie zurück ins Haus und die Jungen ritten durch den tiefen Schnee bis zur Koboldkuppe. Dort zog Calixto das Hemd aus, rieb seine Wange daran und faltete es sorgfältig zusammen, ehe er es in seinem Beutel verwahrte. »Ein schönes Hemd«, sagte er. »Findest du nicht auch, Wolfsjunge? Ich hatte noch nie so etwas Weiches. Es soll unter meinem Kopf liegen, wenn ich schlafe.«
     
    »Wo bist du?«, riss Munirs dunkle Stimme ihn aus seinen Erinnerungen.
    »Im Schattenwald«, erwiderte Ivaylo und bemerkte da erst, dass seine Wangen nass waren vor Tränen.
    »Erinnerst du dich wieder?«, fragte der Elf. Er beugte sich gespannt vor.
    Ivaylo bewegte den Kopf in einer langsamen Verneinung. Die Bilder von ihm und Calixto, von seiner Mutter und dem Haus, in dem sie lebten, wurden erneut undeutlich und begannen zu verblassen.
    Er bemühte sich mit aller Macht, sie festzuhalten, aber sie zerflossen wie eine dünne Schneedecke unter dem Licht der Frühlingssonne.
    Der Junge kehrte zurück in die Welt der Steinmauern und der fremden Blicke. Er griff nach der Hand des dunklen Elfen und umklammerte sie so fest, dass es den anderen schmerzen musste. Aber Munir schien nichts zu bemerken.
    »Was ist mit mir?«, fragte Ivaylo. »Warum fliehen mich meine Erinnerungen? Warum bin ich hier, wo ich nicht hingehöre, und nicht im Schattenwald, bei meinen Eltern und meinen Freunden?«
    Munir erwiderte den Druck seiner Hand. »Deine Eltern sind fortgegangen«, sagte er. »Ich bin ... ich bin dein Onkel. Ich kümmere mich um dich.« Sein Blick wich dem des Jungen aus.
    »Mein Onkel«, wiederholte Ivaylo. »Ja, sicher.« Der dunkle Elf log ihn an. Er hatte seine Fragen nicht beantwortet und seine Worte warfen nur neue Fragen auf. Warum hätten seine Eltern fortgehen und ihn bei Fremden zurücklassen sollen?
    »Ich bin müde«, sagte er. »Lass mich allein.« Er schloss die Augen und beschwor die zerfließenden Erinnerungen, bei ihm zu bleiben. Er hörte, wie Calixto seinen Namen rief, und sah ihn lachen, nussbraune Augen und dichte Locken. Er sah den Morgenhimmel über der Koboldkuppe, hörte das leise Glucksen, mit dem das Wasser des Bachs über Kiesel hüpfte, und den traurigen Ruf eines Milans, der hoch über den Wipfeln seine Kreise zog ... all das verblasste, während er es zu halten versuchte, und verschwand aus seinem Kopf, als hätte es nie existiert.
    Munirs Hand legte sich über Ivaylos Augen. Dunkelheit senkte sich über den Jungen und ließ ihn einschlummern. »Hab Geduld«, sagte Munir. »All dies geschieht zu deiner Sicherheit. Deinen Eltern habe ich nicht helfen können, aber du bist hier, und solange du dich nicht erinnerst, kann dir nichts geschehen. Schlaf nun tief und ruhig, mein Junge.«
    Ivaylo hörte seine Worte wie das ferne Krächzen von Möwen, das über das Rauschen der Wellen zu ihm drang. Sie bedeuteten nichts. Er schlief.
     
    Auf dem langen Ritt vom Königsstein hinunter in die Ebene wechselte Ivaylo kaum ein Wort mit seinem Begleiter – oder sollte er ihn lieber seinen »Wachhund» nennen? Das Misstrauen wurzelte tief in

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