Sturm: Roman (German Edition)
militärischen Vergangenheit beruhen – ob als Soldat oder Söldner.
Für Dirk spielte das keine Rolle. Jurij wusste offensichtlich, was er tat, das war der entscheidende Punkt. Alles andere war Nebensache.
»Oh, verdammt!«, polterte Jurij, als Dirk das Cockpit verlassen wollte. »Zieh die Kiste hoch!«
Dirk wirbelte herum. Der sanfte Steigflug der Lisunov war in die Waagerechte übergegangen, und das erleichterte es ihm zwar, sich in der Maschine zu bewegen, kam jedoch zur falschen Zeit, denn sie hielten auf eine steile Bergflanke zu. Dirk erkannte mit einem Blick, was geschehen war: Jurijs Autopilot hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst. Einer der Kunststoffspanner war gebrochen, der andere verrutscht. Das aus der Spannung befreite Steuerhorn hatte ein Eigenleben entwickelt und sich nach rechts gedreht, was die Maschine als Befehl verstand, das Felsmassiv anzufliegen.
Jurij kämpfte mit dem Kopfhörerkabel, in dem er sich verfangen hatte, und schrie Dirk erneut zu, er solle sofort gegensteuern.
Dirk sprang vor und ließ sich in den Pilotensessel plumpsen, als ginge es darum, in das Lenkrad eines Wagens zu greifen, dessen Fahrer plötzlich einen Herzinfarkt erlitten hatte. Er packte das Steuer, zog es mit einem dermaßen kräftigen Ruck an sich heran, dass ein stechender Schmerz durch seine verletzte Hand zuckte, und drehte es gleichzeitig nach links. Zuerst passierte gar nichts – zumindest kam es ihm so vor –, doch dann zeigte die Nase der Lisunov hinauf in den Himmel, während die Maschine gleichzeitig nach links abkippte und sich in das Wummern der Triebwerke ein helles, protestierendes Kreischen mischte, das ganz und gar nicht gesund klang.
Dirk hatte nicht die geringste Ahnung, was er da tat und warum er es tat. Während Jurij mit dem Kopfhörerkabel rang wie mit einer Würgeschlange, focht Dirk mit dem Steuerhorn der Lisunov einen Kampf aus, den er nicht gewinnen konnte. Er kannte Computer in- und auswendig und hatte alle möglichen Spiele bis zum höchsten Level durchexerziert, doch um Flugsimulatoren hatte er stets einen Riesenbogen gemacht. Jetzt rächte es sich, dass er ständig vor seiner Flugangst gekniffen hatte. Auch wenn ihn das Simulatortraining an einem leistungsstarken Rechner bestimmt nicht auf den Flug mit einer sechzig Jahre alten russischen Maschine vorbereitet hätte, hätte es ihm zumindest Grundbegriffe wie ›künstlicher Horizont‹ vermittelt. Dieser wurde nämlich von einem Instrument in Dirks Sichtfeld angezeigt, ohne dass Dirk wusste, wie er die Informationen in gezielte Handlungen umsetzen sollte.
Jurij fluchte in einer Sprache, die so klang, wie sich Dirk Russisch vorstellte. Die Lisunov kippte unaufhaltsam über die linke Tragfläche ab. Ein Zittern ging durch ihren Rumpf und übertrug sich über sein Steißbein auf seinen Körper. Es wurde von einem Geräusch begleitet, das er nur aus Kriegsfilmen kannte, in denen zweimotorige Maschinen nach einem Treffer abschmierten.
Sie stürzten ab. Dirk war sich da ganz sicher. Und alles, was er tat, trug nur dazu bei, dass sie noch schneller runterkamen als ohne seine Hilfe. Die Bergflanke, auf die sie ursprünglich zugerast waren, stellte nun kein Problem mehr dar, dafür aber die Geröllhalde unter ihnen, auf die er freie Sicht hatte …
… bis sich etwas in sein Blickfeld schob. Ein schwarzer Hubschrauber mit wirbelnden Rotorblättern, der unter ihnen flog, obwohl er doch eigentlich über ihnen hätte sein müssen. Der Helikopter war unglaublich schnell und strafte Jurijs Behauptung Lügen, dass die Lisunov ihn problemlos würde abhängen können. Was zum Teufel hatte der Pilot vor? Wollte er sie ausgerechnet jetzt unter Feuer nehmen, da sie sowieso schon dem Untergang geweiht waren?
Der Hubschrauber flog eine scharfe Linkskurve, und Dirk erkannte, welche Chance sich ihm durch dieses Manöver bot. Wenn er es imitierte, konnte er sie vielleicht doch noch aus der verzweifelten Lage heraussteuern, in die er sie durch sein Unvermögen gebracht hatte. Er behielt den Helikopter im Blick und ließ seine Hände der Bewegung seiner Augen folgen. Die Lisunov löste sich nicht aus der Linkskurve, in die sie viel zu steil gegangen war, sondern schnitt sie anders an und kämpfte verzweifelt gegen den drohenden Absturz.
»Gut so, du Hurensohn!«, keuchte Jurij. »Aber denk an das Zusammenspiel von Höhen- und Seitenruder. Die Lisunov fliegt schließlich durch dreidimensionalen Raum und klebt nicht auf der Straße wie ein Auto.« Er
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