Sturm über Freistatt
sagtest, wir sollten von ihnen nicht als Tiere denken; wenn wir sie wie Menschen behandelten, würden sie auch wie solche reagieren und alle würden davon profitieren. Es war ein sehr weiser Rat gewesen, wie sich herausgestellt hat, und ich dachte mir, daß der Vogel, genau wie diese Menschen, aus der Stadt ist. Vielleicht hilft es, wenn du diesen Rat auf ihn ausdehnst.«
»Da ist nur ein Problem, Paratu. Der Vogel ist wirklich ein Tier!«
»Das ist ein Freistätter auch«, entgegnete sie und blickte zur Stadt. »Sie reagieren auf Achtung, und ich bezweifle, daß du unter ihnen mehr als ein Dutzend finden kannst, die klüger als dein Vogel sind.«
Da hatte Monkel laut lachen müssen, doch später hatte er über ihre Worte nachgedacht.
Am selben Abend hatte er angefangen, zu dem Vogel zu reden – nicht nur wie ein Dresseur mit ein paar einfachen Befehlen, sondern er hatte zu ihm gesprochen wie zu einem guten Freund. Er erzählte ihm von seinem früheren Leben, von seinen Befürchtungen, als er zu diesem neuen Land gekommen war, und von seinen bisherigen Leistungen als Clanführer. Er beschrieb dem Vogel den Glanz des Hofes der Beysa und die Schönheit Uralais. Nachdem er einmal begonnen hatte, zu dem Vogel zu reden, wurde es zur lieben Gewohnheit, denn Monkel war im Grund genommen ein einsamer Mann, den die Bedeutung seines Ranges noch einsamer machte.
Zu seinem Erstaunen reagierte der Vogel fast sofort – oder, genauer gesagt, er hörte auf wie bisher zu reagieren. Statt in Panik davonzuflattern oder ihm ins Gesicht zu hacken, saß er ruhig auf seiner Hand und legte den Kopf schief, als hänge er an seinen Lippen. Bald wagte Monkel es, den Vogel auf seine Schulter zu setzen, wo sein Schnabel nicht weit zu seinem Ohr oder seinem Auge hätte. Der Vogel mißbrauchte sein Vertrauen nicht ein einziges Mal. Er schien im Gegenteil sehr glücklich über diesen neuen Platz zu sein und flog, kaum daß Monkel das Gemach betreten hatte, auf seine Schulter.
Nach einer Woche nahm Monkel ihn als letzte Probe mit ins Freie und setzte ihn auch anderen auf die Schulter. Der Vogel ließ es geduldig über sich ergehen und benahm sich tadellos. Trotz eines gewissen Maßes an Mißtrauen über diese plötzlich Zahmheit hielt Monkel die Zeit für gekommen, seiner Angebeteten dieses Geschenk zu verehren, denn er wußte, wenn er noch länger damit wartete, würde der Vogel ihm zu sehr ans Herz wachsen, als daß er ihn noch weggeben könnte.
»Du wirst sehen, sie ist wunderschön, genau wie ich sie dir beschrieben habe.«
Der Vogel musterte Monkel mit ausdruckslosen gelben Augen und lehnte den Leckerbissen ab, den der Beysiber ihm als Bestechung vor den Schnabel hielt.
Mit lautlosem Seufzen drehte das Oberhaupt des Setmur-Clans sich auf dem Stuhl, um noch einmal den Palastkorridor entlangzuschauen, dann starrte er wieder aus dem Fenster.
Er hatte beabsichtigt, Uralai das Geschenk im Audienzsaal der Beysa zu überreichen, doch dann hatte ihn sein Mut verlassen, und er beschloß zu warten, bis ihr Dienst zu Ende war. Das war auch bestimmt besser, denn er hatte immer noch seine Zweifel, ob er sich wirklich darauf verlassen konnte, daß der Vogel sich gesittet benahm. Passierte tatsächlich ein kleines Malheur, wenn er ihn Uralai überbrachte, wäre es zwar sehr peinlich, aber nicht katastrophal wie vor den Augen der Kaiserin.
»Es wird dir hier gefallen«, murmelte er, mehr um sich selbst zu beruhigen als den Vogel. »Es ist ein beachtlicher Schritt aufwärts von der Gosse, wo du früher um deine Brocken kämpfen mußtest. Ich wette, jeder Beyarl – das sind unsere heiligen Vögel – würde dich beneiden …«
Leichte Schritte waren zu hören, so blickte er rasch wieder den Korridor entlang und sah Uralai auf sich zukommen. Seine Ängste und seine Unsicherheit verkrampften sich zu einem festen Klumpen, der ihm in der Kehle steckte. Aber er wappnete sich und stand auf, um ihr entgegenzugehen.
»Monkel Setmur! Welch eine nette Überraschung!« Ihre Stimme wirkte fast wie Musik, wenn sie nicht für die Beysa sprach. »Und welch hübscher Vogel!«
Glücklich über ihre warme Begrüßung sagte Monkel überstürzt: »Der Vogel ist ein Geschenk. Ich – ich möchte gern, daß Ihr ihn annehmt.«
»Wirklich? Ich wußte gar nicht, daß es in dieser Stadt so etwas zu kaufen gibt.«
Uralai betrachtete den Vogel, als Monkel ihn auf die Hand nahm und ihr entgegenstreckte.
»Gibt es auch nicht«, entgegnete er. »Ich habe ihn selbst
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