Schlaf süß im tiefen Grabe: Kriminalroman (German Edition)
Kroatien, drei Jahre zuvor
Hinter ihr der entfernte Knall einer Fehlzündung. Sanna drehte sich um und blinzelte gegen die Sonne. Im Gegenlicht sah sie ein paar Jugendliche mit ihren frisierten Mofas, sie standen ein Stück die Straße runter im Schatten einer Pinie. Halbstarke mit Lederjacken und betont machohaften Posen. Sie gestikulierten, Wortfetzen wehten herüber, offenbar gab es Ärger.
»Kaum zu glauben, dass wir morgen wieder in Berlin sind«, meinte Jannis, der mit ihr die Straße hinunterspazierte. Er hatte die jungen Männer offenbar gar nicht bemerkt. »Ich könnte ohne Probleme noch eine Woche dranhängen. Das war doch eine super Zeit hier, oder?«
Sanna warf einen weiteren Blick zurück. Ihre Vermieterin hatte vor einer Bande gewarnt, die in der Gegend unterwegs war, um Touristen zu überfallen und auszurauben. Aber diese Halbstarken da unter der Pinie schienen eher mit sich selbst beschäftigt. Die waren das bestimmt nicht.
Sie wandte sich ab. Jannis hatte recht. Es war großartig gewesen. Sie wollte diesen letzten Urlaubstag genießen. Den Himmel, das Meer, die flirrende Luft. Vor allem aber das Zusammensein mit Jannis, ihrem großen Bruder. Wenn sie zurück nach Deutschland kommen, wird für sie beide ein neues Leben anfangen. Dann wird alles ganz anders als zuvor.
Sie ignorierte die jungen Männer und hakte sich bei ihm ein. »Ja, das wäre schön«, sagte sie. »Eine Woche länger. Oder wir bleiben einfach für immer hier.«
Jannis lachte. »Was Georg Mascolo wohl dazu sagen würde?«
Er plante, nach Hamburg zu gehen, um als Redakteur beim SPIEGEL zu arbeiten. Beruflich ging es für ihn steil bergauf. Er war brillant in dem, was er tat, natürlich, aber trotzdem war Sanna überzeugt, dass er seine Karriere hauptsächlich seinem unwiderstehlichen Lächeln verdankte und der Art, wie seine meerblauen Augen aufleuchteten, wann immer er sich einem neuen Gesprächspartner zuwandte.
Sanna hatte zwar vor, in Berlin zu bleiben, aber auch für sie würde sich viel ändern. Sie wollte mit Bernd, ihrem Freund, zusammenziehen. Sie fühlte sich jetzt bereit dazu, es war die richtige Entscheidung. Und dann war da noch der Job als Sozialarbeiterin, der nach den Ferien losginge. Ihre erste feste Anstellung nach dem Diplom.
»Ach, Jannis. Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich in Berlin anfangen soll.«
»Ach was. Ich bin doch nicht aus der Welt.«
Sie erreichten ihren Lieblingsplatz, einen großen flachen Felsen am Meer. Dahinter lag ein Hang mit ausgedörrtem Gestrüpp und ein paar Pinien, die Schatten spendeten. Unter ihnen die Brandung, die ruhig und gleichmäßig den Felsen umspülte. Sanna atmete die würzige Meeresluft ein und strich sich das schulterlange blonde Haar aus dem Gesicht. Es war wunderschön.
Wieder eine Fehlzündung. Sie sah sich um. In den Posen der Halbstarken lag Aggression. Plötzlich spürte sie ein deutliches Unbehagen. Als hätte sie eine Vorahnung.
»Was wohl in einem Jahr sein wird«, meinte Jannis, der sich gemütlich niedersetzte. »Du mit deiner Stelle als Sozialarbeiterin, ich beim SPIEGEL … Ich wüsste zu gern, wie es uns ergehen wird.«
Er ließ sich zufrieden die Sonne ins Gesicht scheinen. Sanna breitete ihr Handtuch aus. Etwas entfernt heulten Motoren auf. Es begann vielstimmig zu knattern, und Jubelrufe ertönten. Die Teenager sprangen auf ihre Maschinen, feuerten sich gegenseitig an, gaben ordentlich Gas und wirbelten eine Menge Staub auf. Jetzt fuhren sie direkt auf sie zu. Sanna fühlte sich plötzlich seltsam nackt in ihrem Bikinioberteil.
Nur widerwillig hockte sie sich neben Jannis.
»Was ist denn los?«, fragte er.
»Ach nichts«, sagte sie mit Blick zur Straße.
Doch die Jugendlichen hatten sie nun entdeckt. Sie stießen sich gegenseitig an und deuteten zu Sanna hinüber. Es wurde gelacht und gepfiffen. Die Mofas knatterten, sie drosselten das Tempo. Einer der Jungen schob mit einer ordinären Geste seine Zunge zwischen die Finger. Sanna blickte schnell zur Seite.
»Nur diese Typen …«, begann sie, doch da verschwanden die Mofas bereits hinter einer Kurve und fuhren aus ihrem Blickfeld. Das Knattern wurde leiser. Sie lauschte. Bestimmt kämen sie gleich zurück. Sie wollte lieber weg von hier. Sie wandte sich zu ihrem Bruder.
»Du, Jannis, vielleicht wäre es besser, wenn wir …«
Sie stockte. Jannis wirkte irgendwie verändert. Etwas stimmte nicht. »Jannis?«
Er schien sie gar nicht zu hören. Wie in Zeitlupe verdrehte er die Augen, sein
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