Sturm ueber Thedra
Mast.
Das Löwenboot fuhr bauartbedingt mit erheblich größerer Schräglage, als der klobige Zweimaster. Es machte Teri Spaß, hinabzuschauen und direkt unter sich die Wellen dahinjagen zu sehen.
Tana liebte diese Ausflüge ihrer Stieftochter nicht sonderlich, aber sie ließ sie gewähren. Teri war gewandt und kräftig. Außerdem träumte sie schon seit Jahren davon, Scharfrau auf einem der Schwalbenschiffe zu werden. - Warum sollte sie sich nicht schon jetzt einen kleinen Vorgeschmack auf ihr zukünftiges Leben holen?
Trotzdem ließ Tana das Kind keinen Augenblick lang aus den Augen und war erst wieder beruhigt, wenn Teri sicher auf das Deck der `Sesiol' zurückgekehrt war.
Oft saß Teri auch in der Runde der Matrosen und hörte sich allerlei Geschichten aus aller Welt an. Die Männer wetteiferten darum, dem Kind mit immer neuen, abenteuerlichen Geschichten zu imponieren: Seeungeheuer tauchten natürlich darin auf und der Feuermann, der auf den Rahen tanzte. Auch Fische, die so groß waren, dass kein Schiff sie an Bord nehmen konnte, so dass man sie im Wasser zerteilen mußte. Riesenhafte Tiere sollte es im Lande Ceon geben, deren Nase so lang war, dass sie damit die Früchte von den Bäumen pflücken konnten. Auch sei in Ceon ewiger Sommer - man stelle sich vor!
Teri glaubte natürlich kein Wort von diesem Gefasel. Sie wußte sehr gut, dass die Matrosen sich nur einen Spaß mit ihr machen wollten. - Aber die Männer erzählten gut und spannend, so dass die Zeit schneller herumging.
Seit mehr als zwei Monaten war das Löwenboot nun schon unterwegs. Die `Sesiol' hielt sich immer in der Nähe der Küste und lief nahezu jeden Hafen an. Als Stückgutfrachter war sie in mehrere Laderäume unterteilt, von denen abwechselnd mal dieser und mal jener be- oder entladen wurde. Da nach jeder Änderung in der Beladung die Trimmung durch Umverteilen großer Frachtmengen in andere Laderäume korrigiert werden mußte, lag der kleine Frachter oftmals zehn Tage und mehr an den Kais der Häfen.
Teri durchstreifte tagelang die Gassen von Osange, wo die Leute aus Furcht vor Erdbeben nur ganz flache Häuser mit leichten Dächern zu bauen wagten. Teri fand das etwas übertrieben, wann würde denn wohl je die Erde beben? Die Erklärung eines der Matrosen, dass das hier sehr oft geschähe, nahm sie nicht ernst.
So war sie denn auch furchtbar erschrocken gewesen, als eines Tages plötzlich ein dumpfes Grollen aus der Erde drang und die Kaimauer, auf der sie gesessen hatte, zu vibrieren anfing. Total entsetzt, unfähig, auch nur aufzuspringen, hatte sie dagesessen und versucht, ihre Fingernägel in das steinerne Pflaster des Hafenplatzes zu krallen. Nach wenigen Augenblicken war der Spuk vorbei gewesen und nur noch die wild schwankenden Masten der Schiffe hatten von dem Geschehen gekündet. Nach diesem Erlebnis war Teri in Osange nur noch widerwillig an Land gegangen.
Die nächste Station war Kaji gewesen; die Stadt der Ziegenhirten und des Leders, die Heimat Fakuns, des verlassenen Kranken aus dem Fremdenhaus.
Fakun hatte erzählt, dass es thedranische Kaufleute in der Stadt gäbe, und so beschloß die Familie, sich auf die Suche nach ihnen zu machen. Der Kapitän der `Sesiol', der die Landessprache einigermaßen beherrschte, hatte herausgefunden, dass die Thedraner in einem Haus etwas außerhalb der Stadt, direkt am Meer wohnten. "Fragt einfach nach den Giriji", hatte er Tana und Gerit erklärt. "Das bedeutet in der Landessprache so etwas wie `Geizhälse'."
Zunächst war die Familie aber über den Markt geschlendert. Teri hatte auf der Reise nun schon Gelegenheit gehabt, sich Märkte in verschiedenen Hafenstädten anzusehen, aber der Markt von Kaji war schon etwas Besonderes.
Eigentlich handelte es sich gar nicht um einen Markt, sondern um einen gewaltigen Ziegenpferch, dem eine Schlachterei und eine Ledermacherei angegliedert waren. Zum Glück wehte ein frischer Wind von See her über die Stadt, sonst wäre der Geruch wohl nicht auszuhalten gewesen.
Ziegen hatten Kaji berühmt gemacht. Ziegen waren der Reichtum des Landes. Ziegen waren einfach überall.
Warteten in den großen Gattern ganze Herden darauf, verschifft oder geschlachtet zu werden, so liefen außerhalb der Umzäunung die etwas glücklicheren Exemplare herum, denen noch ein wenig Zeit blieb. - Ziegen grasten zwischen den Häusern und suchten in deren Eingängen Schutz vor der Sonne. - Ziegen schauten aus Fenstern und kletterten in die Kronen flacher Bäume, um
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