Sturmflut: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
hoch.
»Fenja, Süße, du hast unten die Tür offen stehen lassen. Wir können von Glück sagen, dass niemand reingekommen ist und den ganzen Laden ausgeräumt hat«, sagte sie, noch während sie die Tür ganz aufstieß und die Wohnung betrat.
Dann blieb sie abrupt stehen und starrte mit offenem Mund auf ihre Freundin. Sie bemerkte gar nicht, dass ihr Schlüsselbund aus ihrer Hand rutschte und scheppernd auf den Boden fiel.
Den Anblick, der sich ihr bot, würde sie nie wieder vergessen.
Fenja kniete auf dem Fußboden und sah sie aus weit aufgerissenen Augen an. Ihr Gesicht war unnatürlich blass. Deutlich zeichneten sich dunkle Blutspritzer ab, die quer über Wangen und Stirn verteilt waren.
Auch Fenjas Hände waren voller Blut. Mit der rechten Hand hielt sie fest eine spitze Schere umklammert. Unter ihr hatte sich eine dunkle Lache ausgebreitet, die an den Rändern bräunlich zu verkrusten begann. Ein Teil des Blutes war in den Stoff ihrer Jeans gesickert und hatte ihn dunkel verfärbt.
Vor Fenja auf dem Fußboden lag ein junger Mann. Obwohl sein Gesicht völlig mit Blut beschmiert war, erkannte Carolin ihn sofort: Es war Mark Sennemann, ihr gemeinsamer Freund, mit dem sie heute eigentlich ins Kino gehen wollten.
Sein Körper war seltsam verdreht und in seinem Hals klaffte eine tiefe Wunde. Seine braunen Augen starrten blicklos ins Leere.
Entsetzt schlug Carolin die Hände vor das Gesicht. Obwohl ihr übel wurde, schaffte sie es nicht, ihren Blick von dem grausamen Bild vor ihr abzuwenden.
»Oh mein Gott«, brachte sie tonlos hervor.
Fenja starrte ihre Freundin immer noch mit schreckgeweiteten Augen an.
»Carolin, bitte ...«, stammelte sie mit zitternder Stimme. »Carolin, bitte hilf mir!«
Montag, 11. Februar
»Ich möchte, dass Sie herausfinden, warum ich meinen Freund getötet habe.«
»Wie bitte?« Suna Lürssen war sich ganz sicher, sich verhört zu haben. Verblüfft starrte sie die Frau an, die ihr an ihrem Schreibtisch gegenübersaß.
»Ich möchte, dass Sie herausfinden, warum ich meinen Freund getötet habe«, wiederholte diese langsam, wobei sie jedes einzelne Wort betonte. Dann lächelte sie gequält. »Ich weiß, das hört sich merkwürdig an, und genau das ist es auch. Aber ich brauche dringend Ihre Hilfe, Frau Lürssen.« Sie beugte sich vor und sah Suna eindringlich an.
Die Privatdetektivin bemerkte, dass die Finger der Frau zitterten, obwohl sie inzwischen etwas ruhiger wirkte als ein paar Minuten zuvor, als sie das winzige Büro in der Lübecker Altstadt betreten hatte. Sie hatte sich als Fenja Sangaard vorgestellt, bevor sie ihr ungewöhnliches Anliegen ausgesprochen hatte. Der Name sagte Suna nichts.
Suna musterte sie erneut. Ihr Alter schätzte sie auf Mitte zwanzig, sie musste also ein paar Jahre jünger sein als sie selbst. Unter normalen Umständen wäre sie wahrscheinlich außergewöhnlich hübsch gewesen mit ihren kinnlangen dunkelblonden Haaren, den klaren, graublauen Augen, den feinen Gesichtszügen und der schlanken Figur. Aber jetzt lag in ihrem Blick etwas Gehetztes, das alle anderen Eindrücke vergessen ließ. Die dunklen Ringe unter ihren Augen ließen außerdem vermuten, dass sie in letzter Zeit nicht allzu viel Schlaf gefunden hatte. Sie sah aus, als wäre sie mitten in einem Albtraum gefangen.
»Na, dann erzählen Sie mal der Reihe nach«, forderte Suna sie freundlich auf.
Die Frau holte tief Luft. Ihre Finger begannen hektisch, die kleine braune Lederhandtasche zu kneten, die sie auf ihre Knie gelegt hatte. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder und angelte in ihrer Handtasche nach einer Schachtel Zigaretten.
»Darf ich?«, fragte sie, noch während sie die Schachtel öffnete und sich eine Zigarette in den Mundwinkel schob.
Mit einem entschuldigenden Lächeln wies Suna auf den Rauchmelder, den sie extra für diesen Zweck knapp unterhalb der Decke an der Wand hinter dem Schreibtisch angebracht hatte. »Mein Vermieter besteht darauf«, erklärte sie und fühlte sich dabei nur ein ganz kleines bisschen schäbig. Sie brauchte zum Denken nun einmal einigermaßen saubere Luft.
»Ja, natürlich, bitte entschuldigen Sie. Ich hatte eigentlich sowieso längst aufgehört, aber die Sache macht mich einfach fertig.« Fenja nickte verlegen, steckte die Zigaretten wieder weg und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Dann holte sie tief Luft und sah Suna ernst an.
»Ich habe in Westerland einen kleinen Laden, das Hynsteblom , in dem ich
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