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Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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Erfahrungen in Afghanistan, im Gazastreifen und in Beirut geschärft. Das
reichte ihm. Diesen Teil seines Lebens hatte er abgeschlossen.
    Doch der Mann, der seinen Blick nicht von ihm ließ,
erinnerte Havenstein daran, dass er sich erneut auf eine gefährliche Mission
eingelassen hatte. Sein Verstand signalisierte ihm, dass er im sicheren
Deutschland war, gerade hier in Schleswig-Holstein, fernab von Turbulenzen oder
gar gefährlichen Momenten. Er wandte sich ab und spürte den stechenden Blick
des anderen in seinem Nacken. Mit schnellem Schritt wollte er sich entfernen,
hörte hinter sich aber eine erboste ältere Männerstimme, die lautstark
protestierte. »Was soll das, eh? Können Sie nicht aufpassen? Rempelt einen an
…«
    Havenstein hatte nun Gewissheit. Der Mann verfolgte
ihn. Geschickt schlängelte sich Havenstein zwischen einer Gruppe von drei
Frauen durch, die sich inmitten des Wegs zu einem Plausch zusammengefunden hatten
und ihm irritiert hinterhersahen. Er glaubte, hinter sich die Schritte des
Verfolgers zu hören. Das war sicher nur eine Reaktion seiner angespannten
Nerven. Havenstein kam kurz ins Straucheln, als der Straßenbelag von den roten
Pflastersteinen zum kleinformatigen Granit wechselte, der in Streifen zur
Auflockerung der Fußgängerzone verlegt war.
    Die unter überdimensionalen Sonnenschirmen stehenden
Kleiderständer eines Textilgeschäfts mit dem Namen eines französischen
Lustschlosses boten Havenstein keine Deckung. Zwischen diesem Geschäft und dem
Telefonladen hatte eine Buchhandlung ihre Angebote in Körben vor den
Schaufenstern platziert. Gegenüber standen vor einer Bäckereifiliale drei
Tische, an denen ein paar Unentwegte ihren Kaffee tranken.
    Was erregt dich?, fragte sich Havenstein. Du bist
überarbeitet. Du befindest dich in einer friedlichen Kleinstadt an der Ostsee.
Um dich herum herrscht reges Treiben. Wer wird dich in einer solchen
Menschenmenge ansprechen oder gar belästigen wollen? Außerdem konnte niemand
wissen, womit er sich gerade beschäftigte. Darüber hatte Havenstein absolutes
Stillschweigen gewahrt.
    Instinktiv bog er ab und betrat die Buchhandlung. Sie
war ohnehin sein Ziel gewesen. Er hatte zwei Bücher bestellt, die er heute
abholen wollte. Beim Betreten des Geschäfts warf er einen Blick über die
Schulter zurück. Sein Gefühl hatte nicht getrogen. Der Fremde hatte aufgeholt
und war ihm näher gekommen.
    Die Buchhandlung war einer jener Läden, die Havenstein
liebte. Sie bot auf engem Raum nicht nur ein breites Sortiment an Lesestoff,
sondern auch Bürobedarf und Geschenkartikel an. Wie häufig bei seinen Besuchen
war der Laden gut besucht.
    Die Filialleiterin stand hinter dem Kassentresen zur
Linken und sah kurz auf, als er mit eiligem Schritt an ihr vorbeihastete. Sie
zog eine Augenbraue fragend in die Höhe.
    »Herr Havenstein …«, sagte sie. Es klang ein wenig
erstaunt.
    Er ließ ihren Gruß unerwidert. Havenstein wusste, dass
sein Verfolger es auf ihn abgesehen hatte. Er wollte sich nicht der Diskussion
mit jemandem aussetzen, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Dies war seine
Stadt. Man kannte ihn. Die Demütigung, dass ihm jemand womöglich für Dritte
sichtbar eine Warnung zukommen ließ, wollte er nicht über sich ergehen lassen.
Havenstein verließ den Läufer, der von der Eingangstür ins Ladeninnere führte,
und setzte seinen Weg, nein, eigentlich war es schon fast eine Flucht, nach
rechts über den hellen Holzfußboden fort. Den Ständer mit zusammengerollten
Landkarten und die Leuchtturmnachbildung, die als Verkaufshilfe für Karten
diente, beachtete er nicht. Ein paar Schritte weiter führten zwei Stufen in den
hinteren Teil des Geschäfts. Eine Rampe bot auch Rollstuhlfahrern die
Möglichkeit, in diesem Teil der Buchhandlung zu stöbern.
    Havenstein wusste, dass kurz vor den Stufen eine Tür
ins Treppenhaus führte. Von dort gelangte man durch einen Gang in den
Hinterhof. Mit diesem Teil der Stadt war er vertraut. Dort war er sicher und
konnte Ecken und Nischen nutzen. Doch dazu bedurfte es eines geringen Vorsprungs.
Sein Verfolger war ihm zu dicht auf den Fersen. Er würde die Tür nicht
ungesehen erreichen. Hier, im Geschäft, fühlte er sich sicher.
    Noch einmal drehte sich Havenstein um. Er verstand
seine plötzlich aufkommende Panik nicht. Es gab keinen Grund. Nicht hier. Nicht
in Deutschland. Er vermeinte, den Atem des Verfolgers im Nacken zu spüren. Sein
Abbiegen in die Buchhandlung und die kurzfristige Beschleunigung des

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