Sturmwelten 01
ausgeblichenen Uniform so heftig auf sie zu, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
»Wer ist der Kapitän dieses Schiffs?«, erkundigte er sich unhöflich.
»Das wäre wohl ich«, ertönte Harfells Stimme hinter ihr. Er klang nicht gerade amüsiert, und als Roxane dem Hageren Platz machte, merkte sie, dass der Kapitän aussah, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
»Ich bin der Adjutant des Hafenmeisters, Veren…«
»Klären Sie das mit meinem Ersten Offizier, verstanden, Mann?«, blaffte ihn Harfell an. »Ich habe keine Zeit für Dokumente und Verordnungen. Wir Seeoffiziere haben einen Krieg zu führen!«
»Kapitän, ich…«
»Frewelling, nehmen Sie mir diesen Bürokraten ab, bevor ich ihn kielholen lasse!«
»Thay«, erwiderte Cearl steif und trat zwischen die beiden. »Leutnant Frewelling, Erster Offizier der Mantikor . Was kann ich für Sie tun, Herr Adjutant?«
Die Antwort hörte Roxane schon nicht mehr, denn Harfell trieb sie und Hugham zur Eile an, sodass sie den Pier hinabhasteten und dort in eine Kutsche stiegen, die auf sie wartete. Der Kutscher war ein hochgewachsener, dunkelhäutiger Mann, dessen Livree seltsam deplatziert wirkte. Ohne ein Wort zu sprechen, öffnete er ihnen den Wagenschlag und kehrte dann auf den Kutschbock zurück.
Sowohl Roxane als auch Hugham schwiegen, denn der Kapitän wirkte verärgert, und sie hatten gelernt, dass es besser war, ihn nicht zu reizen, wenn er in dieser Verfassung war. Oder auch nur zu sprechen.
Die Droschke fuhr über eine gepflasterte Straße, die sich den Hang hinaufwand. Rechts und links standen die Häuser dicht an dicht; teilweise waren in den Erdgeschossen Geschäfte untergebracht, und es gab auch etliche Gasthäuser. Wie wohl in jeder Stadt mit einem Hafen, auf der ganzen Welt, dachte Roxane.
Viele der Häuser, die sie passierten, waren bunt gestrichen, um sie in dem fordernden Klima vor Verfall zu schützen. Weiter oben, wo die Gebäude prächtiger wurden, herrschten Pastelltöne vor. In diesem Teil der Stadt hingegen waren alle Farben des Regenbogens zu finden. Die offene Kutsche fuhr zu schnell, als dass Roxane alle Eindrücke hätte aufnehmen können, doch die farbenprächtige Stadt nahm sie unbestreitbar gefangen. Hier und da gab es Stände, an denen Essen verkauft wurde. Seltsam geformte Früchte verhießen ungeahnten Genuss, aber Roxane drehte sich beinahe der Magen um, als sie ein Tier an einem Spieß entdeckte, das verdächtig wie ein wilder Hund aussah.
Erst als sie durch ein großes, schmiedeeisernes Tor fuhren, vor dem links und rechts zwei Soldaten postiert waren, kehrten ihre Gedanken zurück zu dem bevorstehenden Treffen. Die Räder der Droschke knirschten über säuberlich geharkten Kies, und der Kutscher stoppte nach kurzer Fahrt durch einen gepflegten Park vor einem eindrucksvollen Gebäude, das direkt aus Thaynric hierher versetzt worden zu sein schien. Den Eingang bewachten zwei steinerne Löwen, und noch bevor sie aussteigen konnten, stürmte eine junge Offizierin die Treppenstufen herab und salutierte akkurat.
»Willkommen in Lessan, Thay«, sprach sie Harfell an, der nachlässig nickte. »Der Admiral erwartet Sie bereits.«
Während sie sich umdrehte und Harfell ihr folgte, blieb Roxane kurz stehen und bewunderte das im Stil des alten Imperiums gehaltene Gebäude, das, anders als viele andere in Lessan, in schlichtem Weiß erstrahlte und mit schlanken Säulen und kleinen Balkonen verziert war. Dann beeilte sie sich, Leutnant Hugham zu folgen und die kühlen Korridore des Prachtbaus zu betreten.
Das Innere erschien ihr dunkel, bis sich ihre Augen daran gewöhnt hatten, dass nicht mehr alles in gleißendes Licht gehüllt war. Obwohl eine Atmosphäre der Ruhe herrschte, schritten immer wieder Personen eilig an ihnen vorbei; ein Widerspruch, der Roxane faszinierte. Sie gingen an Gemälden und Büsten ehemaliger Admiräle und Mitglieder des Königshauses vorbei, an schweren Vorhängen, zierlichen Beistelltischchen und Kassettentüren, bis sie endlich vor einer der weißen Türen stehen blieben. Die Offizierin klopfte knapp, öffnete dann die Tür und kündigte Kapitän Harfell samt Begleitung an, bevor sie sich zurückzog.
In dem großen Zimmer, das von einem mächtigen, runden Besprechungstisch dominiert wurde, war nur eine Person anwesend. Die Uniform wies ihn als Admiral aus, und sein Gesicht war Roxane aus zahlreichen Zeitungsberichten nur zu gut bekannt – Admiral Holt, zurzeit Kommandeur der
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