Sturmwelten 01
mit bleicher Haut und dunklen Ringen unter den Augen. Selbst von ihrem Platz aus konnte sie den säuerlichen Geruch seines Schweißes riechen, die Überreste von Rum und Bier, die aus ihm ausdünsteten und wie böse Geister durch den Raum schwebten. Sie fühlte sich schmutzig, allein durch die Nähe zu ihm, zu seinem Geruch, doch nicht ängstlich. Seine Augen fixierten sie, und Sinao senkte den Blick, damit er die Verachtung in ihren Augen nicht erkennen konnte.
»Die Aufzeichnungen sind korrekt. Ich konnte keinen Fehler finden.«
Stille breitete sich aus, während Tangye sich das unrasierte Kinn rieb. Es war angenehm kühl in dem großen Raum, obwohl eines der Fenster geöffnet war und die heiße Luft des Tages einließ. Die Brandung toste gegen die Klippen unterhalb des Forts, und Sinao erhaschte einen Blick durch das Fenster auf das Lager, das um diese Zeit beinahe komplett verlassen sein würde. Aus der Entfernung sah es fast wie ein einfaches Dorf der Paranao aus: Das Sonnenlicht ließ das Braun weniger schmutzig, die Hütten weniger armselig wirken.
»Du bist ganz sicher, Sin?«, unterbrach Tangye ihre Gedanken.
»Ja.«
»Gut.« Er seufzte und erhob sich schwerfällig aus seinem Stuhl. »Geh zurück an deine Arbeit. Ach, noch etwas: Bald werden Schiffe einlaufen. Die werden Vorräte brauchen. Bereite alles vor.«
»Schiffe, Herr? Wie viele?«
»Drei.«
Sein Tonfall machte deutlich, dass er mit ihr fertig war. Ohne zu antworten, verließ Sinao sein Zimmer. Dass Tangye vorab von Schiffen wusste, geschah nicht häufig, und drei auf einmal hatte Sinao noch nie erlebt. In Gedanken versunken kehrte sie in die Küche zurück. Es war ungewöhnlich, mitten während der Arbeitszeit zu Tangye gerufen zu werden, und natürlich hatte sie sich gesorgt. In den Geschichten der Sklaven nahmen Tangyes Fähigkeiten inzwischen mystische Ausmaße an: sein Wissen um jeden Sklaven, seine Nase für Lug und Betrug, sein lautloser Schritt und die unheimliche Begabung, stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um einen Sklaven bei einem Fehler oder einer Missetat zu überraschen.
Doch Sinao blickte hinter die Geschichten, die Legenden und die Angst, und dort sah sie nur eine älter werdende Blassnase, die grausam und brutal war, einen Mann, der zu viel trank und seinen unkontrollierten Zorn dann willkürlich an ihnen ausließ, aber keineswegs übernatürlich begabt war. Der Aufseher war gerissen, das musste sie ihm zugestehen, und er verstand es, Angst zu verbreiten, bis keiner ihm mehr widersprach. Aber die Macht dazu kam nicht aus ihm selbst, sondern wurde ihm von den Soldaten und Kanonen verliehen.
Als sie die Küche betrat, sah sie die fragenden Blicke der anderen Sklaven. Auch ihnen stand die Sorge ins Gesicht geschrieben – ein Fehler eines anderen Sklaven mochte auch für sie furchtbare Folgen haben.
»Nur eine kurze Überprüfung der Aufzeichnungen«, beruhigte Sinao sie, bevor sie sich wieder daranmachte, halb verfaulte Manioks für die Suppe zu zerschneiden.
Der Vorfall erschien ihr nicht mehr wichtig, und schon bald beschäftigten sich ihre Gedanken wieder mit Majagua und der Planung ihrer Flucht. Beides ging ihr seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf.
Die Sonne hing schon tief über dem Horizont, und die Schatten wurden lang, als die Wachen die ausgewählten Küchensklaven in das Lager hineinließen. Als wäre alles wie immer, legte Sinao die Decke aus und bereitete die Essensausgabe vor. Sie freute sich auf Majagua, so sehr, dass ihre Wangen sich heiß und ihre Knie sich zittrig anfühlten. Doch dann bemerkte sie Brizulas furchtsamen Blick zum Tor und drehte sich langsam um.
Ein ganzer Trupp Soldaten und Aufseher kam in das Lager. Die Soldaten trugen ihre Musketen auf der Schulter und gingen in Zweierreihen nebeneinander. Vor ihnen her lief Tangye mit seinen Untergebenen, den Hut tief ins Gesicht gezogen, sodass der Ausdruck darauf nicht zu erkennen war. Die furchtbare Lederpeitsche lag aufgerollt in seiner Hand. Die Schatten der Männer fielen auf Sinao, bevor sie selbst die Mitte des Lagers erreichten. Ohne ein Kommando fächerten sich die Soldaten auf und bildeten einen Halbkreis um die inzwischen zur Essensausgabe versammelten Sklaven, während die Aufseher in einem Pulk stehen blieben.
Nur Tangye trat vor, kam langsam auf Sinao zu. Lässig schlug er die Peitsche gegen seine Hüfte. Das lange, genähte Stück Leder konnte Kleidung zerfetzen, Haut aufreißen, sich schmerzhaft um den ganzen Körper
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