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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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nicht, wie das Morgen aussehen, aber sie glaubte daran, daß es ein Morgen geben würde. Es war so viel zu tun.
    Sie wollte wieder ein Teil des Lebens werden. Sie wollte...
    »Gefangene Iwanowna, nehmen Sie Ihr Gepäck und folgen Sie mir!«
    Sie hob ihre Tasche auf und trat hinaus in den Schnee. Die Kraft junger Jahre flutete über sie hinweg und ließ sie lächeln. Mit allen Sinnen nahm sie die Versprechungen der Freiheit auf.

    Die alte Frau kniete in der hintersten Ecke des Zimmers. Ihre Augen hingen voller Verehrung am Bild des Diktators. Stalin im Metallrahmen, dort, wo noch vor Jahren die Madonnenikone gestanden hatte. Maksim betrachtete es mit Kopfschütteln. Er hatte bei seiner früheren Wirtin in Leningrad Unterkunft gefunden, und an jedem Tag seines Hierseins wunderte er sich von neuem, wie sich das Leben der einfachen Frau verändert hatte. Stalin anstelle der heiligen Jungfrau. Stalin, der Heilsbringer. Stalin, die Zukunft der Menschheit, das Licht am Horizont.
    Die Alte erhob sich, klopfte den Staub von ihrem Rock. »Ich habe ihm gedankt«, erklärte sie, »dafür, daß Ihre Freundin zurückkommen wird.«
    »Dafür müssen Sie ihm nicht danken. Sie war zu sieben Jahren verurteilt, fast acht Jahre sind aber vergangen. Dieser neue Messias da hat ihr ein Jahr ihres Lebens gestohlen, das ist alles, was er für sie getan hat.«
    Die Frau starrte ihn an. »Aber... Sie haben selbst für die Revolution...«
    »Das ist lange her. Und vieles ist anders gekommen. Ich habe für die Freiheit gekämpft, aber heute finde ich sie in diesem Land nicht mehr.«
    »Ach...« Das war nur Gerede, fand die Alte. Leute vom Schlag dieses Maksim Marakow redeten oft so geschwollen daher, und kein Mensch wußte, was sie eigentlich meinten. Freiheit - wurde man davon satt? Nein, davon nicht, und deshalb war ihr der große Josef Stalin lieber, der Brot und Arbeit versprach. Das war reell, nicht bloß Wortgeklingel. Unter Brot konnte sie sich etwas vorstellen, die Sprüche von Maksim hingegen hatten weder Hand noch Fuß. Sollte er sich doch lieber freuen, daß seine Mascha zurückkam!
    »Ich mach' jetzt erst mal einen heißen Tee«, sagte sie, »mit einem Schuß Wodka darin, nicht? Diese letzten Monate zwischen Anwälten und Richtern haben Sie richtig ausgezehrt, Maksim. Ganz blaß sind Sie!« Geschäftig eilte sie davon. Maksim blieb im Zimmer stehen, die Hände in den
    Hosentaschen, sein Jackett über die Schultern gehängt. Draußen schneite es, und Dämmerung verhüllte die Häuser der Stadt. Petersburg. Petrograd. Leningrad. Er dachte an die Jahre des Kampfes, die diese Stadt verwandelt hatten, an die bunte Mixtur aus Träumen, Blut, Tränen, Hoffnungen und bitteren Erfahrungen, die der Verwandlung zugrunde lag. All das war noch in den Straßen, in der Luft, über Plätzen und Wegen, aber er konnte daran denken ohne den bitteren Geschmack von Enttäuschung und Resignation auf der Zunge. Die Wunden der Vergangenheit bluteten nicht mehr. Was zählte, waren einzig der Augenblick und die Hoffnung. Der Augenblick war Wärme, ein knisterndes Feuer im Ofen, die Sanftmut der Dämmerung und die alte Frau, die nebenan in der Küche mit den Teetassen klapperte. Und die Hoffnung war... er trat ans Fenster, aber er sah nicht die Straßen und Häuser. Sein Blick reichte weiter, bis in die Steppen Sibiriens. Er ging dem Zug entgegen, der, von einer schnaufenden Lokomotive gezogen, unaufhaltsam näher kam, Kilometer um Kilometer, durch Eis und Schnee, Wälder, Sümpfe, Seen, Felder, über die großen asiatischen Ströme hinweg und durch die unwirtliche Welt des Ural. Er ging dem Zug entgegen, der Mascha brachte.

    Felicia hatte von Anfang an gewußt, wie die Szene vor dem Kamin enden würde. Jede Szene, die ihrer beider gemeinsamer Auftritt verlangte, mußte in einem wie auch immer gearteten tosenden Finale ihren Ausgang nehmen. Mit höflicher Diskretion konnten sie nie auseinandergehen. Bei ihrer letzten Begegnung hatten sie einander den Teufel an den Hals gewünscht und sich scheiden lassen. Bei dieser nun fielen sie ins Bett und liebten sich, so gierig, als hätten sie all die Jahre nur darauf gewartet. Es war schön, grandios, unvergeßlich - aber es brachte ihr nicht den Sieg, den zu erringen sie gehofft hatte. Als sie sich voneinander lösten, als ihre Hände von seinem Rücken glitten, seine Finger von ihren Armen, da begriff sie auch schon, daß er nicht bleiben würde. Das war der Unterschied, das waren die zwölf Jahre. Sie konnten sich

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