Sturz Der Engel
besiegen, hätte beinahe unser aller Untergang bedeutet«, antwortet Gethen. »Karthanos hat sämtliche Abkommen aufgekündigt und ohne Westwind als Pufferzone hätten wir Mühe, Rulyarth zu halten.«
»Westwind? Ihr habt diese … diese verfluchte … diesen Berg als eigenes Land anerkannt, obwohl dort höchstens zwei Züge Bewaffnete stehen?«
»Inzwischen dürften es wohl eher fünf sein«, erwidert Fornal trocken. »Aber mit höchstens zwei Zügen haben sie mehr als zweitausend Bewaffnete vernichtet. Möchtet Ihr die nächste Streitmacht anführen, meine Dame?«
»Sei nicht zu unfreundlich mit ihr, Fornal«, sagt Zeldyan. »Die Fürstin Ellindyja hat wie wir alle sehr gelitten. Und viele ihrer alten Freunde nicht minder.« Zeldyan verneigt sich tief und beendet damit die Unterhaltung. Streng sieht sie aus mit der hochgeschlossenen Bluse, dem Haar mit dem silbernen Band und dem Diadem. »Die Welt sollte etwas mehr von Euch sehen, Fürstin Ellindyja.«
»Ich habe nicht den Wunsch, mehr von der Welt zu sehen.«
»Aber leider …« Zeldyan neigt leicht den Kopf. »Zum Wohle von Lornth und zum Wohle des Sohnes Eures Sohnes ist für Euch die Zeit gekommen, Euch in der Welt sehen zu lassen.«
»Ihr wollt mir das wenige nehmen, das mir geblieben ist?«
»Die Welt will Euch ins Angesicht sehen, meine Dame. Ihr könnt aus freien Stücken gehen oder bleiben und eine Anhörung vor den versammelten Grundbesitzern über Euch ergehen lassen, die möglicherweise nicht sehr glimpflich verläuft.« Ser Gethen verneigt sich.
»Eine Anhörung dieser Bastarde von Grundbesitzern?«
Fornal macht einen kleinen Schritt auf sie zu. »Ich habe wegen Eurer Ränke meinen Bruder verloren. Meine Schwester hat ihren Gebieter verloren, obwohl er den Hexen aus dem Himmel nicht im Kampf begegnen wollte. Und Ihr sitzt hier und verleugnet Eure Ränke und die Ideen, die Ihr anderen in den Kopf gesetzt habt?«
Gethen hebt eine Hand. »Wir wünschen Euch alles Gute, meine Dame. Meine Gemahlin Fürstin Erenthla wird sich freuen, Euch in Carpa begrüßen zu dürfen.«
»Oh, also ein goldener Käfig?«
Gethen zuckt mit den Achseln. Zeldyans Blick wird hart, auch Fornal scheint gereizt. Die drei stehen vor Ellindyja wie die schroffen Gipfel der Westhörner, vor denen ein Mensch sich winzig klein vorkommt.
Ellindyja beugt sich vor und nimmt das Stickzeug zur Hand. »Ich will mir nicht nachsagen lassen, ich wollte dem Wohl von Lornth im Wege stehen. Außerdem ist es lange her, dass ich mit Erenthla gesprochen habe.«
Sie nickt den dreien zu. »Ich werde mich vorbereiten.«
Epilog
N ylan öffnete mit einer Hand die Südtür des Schwarzen Turms. Im rechten Arm trug er Dyliess. Er trat in die feuchte Luft hinaus. Im Süden war fast der ganze Kegel Freyjas von schweren Wolken eingehüllt, auf den niedrigen Klippen, die Nylan noch sehen konnte, lag bereits Schnee.
Einen Augenblick lang legte der Schmied und Magier seiner Tochter die Wange auf die Stirn und ignorierte die suchenden Finger, die ihn an den Ohren zogen. Er betrachtete die kleine, jetzt verwaiste Geschützstellung, wo der Laser gestanden hatte, und die Gräberreihen im Süden des Dachs der Welt. Blutblumen waren dort gewachsen und längst wieder verwelkt.
Trotz des feinen Nebels, fast schon ein mit Eiskristallen durchsetzter Nieselregen, ging Nylan schnellen Schrittes auf die Zufahrt hinaus. Dann drehte er sich um und blickte zum Hügel hinauf.
Der gepflasterte Abschnitt der Straße reichte bis fast zur Hügelkuppe, der dunkel gefärbte, neu verlegte Stein zeigte, welche Fortschritte man seit der Schlacht gemacht hatte. Am Ende des gepflasterten Stücks lag ein Haufen Steine, der den schlammigen, matschigen Weg in eine ganzjährig befahrbare Straße verwandeln sollte.
Nylans Blick wanderte langsam nach Osten zum Hügel. In der feuchten, spätherbstlichen Luft lösten sich die Kontraste zwischen Schwarz und Weiß auf und alles wurde grau. Ein paar Kräuter und Grashalme waren gesprossen.
Er schloss einen Moment die Augen, öffnete sie wieder. Der Bereich, den der Laser versengt hatte, war immer noch von einem stumpfen Grau.
Wahrscheinlich würde sich das mit der Zeit geben. Neues Leben würde die Lücken füllen, wo das alte vergangen war. Er löste Dyliess’ Finger von seinem Ohrläppchen und hielt sie fest, erwiderte mit grünen Augen den Blick der Tochter, die ihn aus ebenso grünen Augen anstarrte.
Hinter sich hörte er, wie die Tür des Turms geöffnet und wieder
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