Sturz in die Vergangenheit
Mann geheiratet, den sie schon damals, als sie mit Elias schwanger gewesen war, hätte heiraten sollen.
Dann würde der Junge jetzt noch leben , dachte Matthias bitter. Der Junge wäre dort, wohin er eigentlich gehörte. Dort, wo er in Sicherheit wäre.
Lida musste es wie der größte Fehler ihres Lebens vorkommen, dass sie sich damals von Iven getrennt hatte, um Matthias zu heiraten. Der dann nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als das Kind zu töten, das nicht einmal seines gewesen war. Selbst wenn er gefühlsmäßig keinen Unterschied gesehen hatte, Elias' Tod hatte klargemacht, dass er das Kind eines anderen auf dem Gewissen hatte.
„Mama, haben!“, kreischte der Kleine auf einmal los.
Matthias konnte nicht umhin, nach Ähnlichkeit mit Elias bei dem Jungen zu suchen. Die gleichen Eltern – aber ein völlig anderes Kind. Blond, blauäugig, pausbäckig, gesund. Kein Asthma.
Unwillkürlich war seine Hand an die Hosentasche gefahren. Wo sie die beruhigende Beule tastete.
Auch der nur eineinhalb Jahre ältere Markus war kerngesund.
War Matthias es damals gewesen? Hatte seine Eifersucht auf Iven dafür gesorgt, dass Elias krank geworden war?
Er wusste, dass er sich damit nur quälte. Elias hatte Asthma gehabt und kein Arzt der Welt hatte erklären können, warum. Es war einfach so gewesen. Zufall. An dem niemand Schuld hatte.
Matthias sah, wie Lida ihrem Mann einen Wink gab.
„Komm Markus, fang mich“, warf der daraufhin übertrieben laut und unbekümmert seine Arme in die Luft.
„Ich hab dich gleich, Papa!“ Markus ging sofort auf das verlockende Angebot ein und rannte seinem Vater hinterher.
„Wie geht es dir?“, nutzte Lida diesen ersten Moment bereits.
Matthias schüttelte nur den Kopf.
„Er ist tot“, sagte sie da energisch. „Du musst damit abschließen.“
Matthias holte Luft. Doch Lida war schneller.
„Du trägst keine Schuld daran. Elias war krank. Niemand konnte ahnen, dass ausgerechnet Fledermauskot einen Asthmaanfall auslösen würde.“ Ihre Stimme wurde eindringlicher. „Und dass das Spray leer gewesen ist, ist genauso meine Schuld. Du musst endlich darüber hinwegkommen und wieder anfangen zu leben.“
„Ich lebe doch“, krächzte Matthias und wusste, dass das so nicht stimmte. Er lebte in der Vergangenheit, in der Zeit, als Elias noch sein Sohn, in der Zeit, in der sein Leben schön gewesen war. Alles andere war völlig gleichgültig.
„So wie du aussiehst?“, fragte Lida. „Man könnte eher meinen, du wärest ein Gespenst. Du verkriechst dich. Das nenn ich nicht leben.“ Sie hob die rechte Hand und strich sich mit einer sachten Bewegung die Haare aus dem Gesicht. So, wie sie es schon immer getan hatte.
Matthias liebte diese Geste. Sie war so einfach, so bescheiden. Und so typisch für die großmütige, großzügige Lida, die er immer noch liebte. Die er jedoch nicht mehr lieben durfte. Weil er sie nur unglücklich machen konnte. Indem er ihr Liebstes einfach zerstörte.
„Mach das, was der Psychiater dir geraten hat“, hörte er Lida in seine Gedanken hinein.
Einen Moment ratlos sah er sie an.
„Schreib es dir endlich von der Seele“, wurde sie prompt deutlicher. „Du weißt doch genau, dass du die Dinge aus dir herausschreiben kannst. Schreib die ganze Geschichte auf. Ich bin sicher, dass dir das guttun wird.“
Matthias wankte. Er musste weg. Augenblicklich.
„Ich ...“, er winkte verzweifelt von sich fort. „Ein dringender Termin.“ Und schon lief er in die andere Richtung. Nicht an Iven vorbei, nicht an dem fröhlich jauchzenden Markus, der seinen großen Bruder niemals kennenlernen würde.
„Bis bald, wir sehen uns“, rief ihm ausgerechnet Iven hinterher.
Klar, dass Matthias darauf nicht mehr reagierte.
Nenn sie Mila!
„ M attis?“
Als Matthias die Augen öffnete, sah er Lida direkt über sich. Sie hatte sich zu ihm gebeugt, den Kopf leicht schief gelegt, ein Lächeln in ihren warmen brauen Augen. Als wäre nichts geschehen.
Selbst die Verwunderung über ihre Heiterkeit hielt ihn nicht davon ab, mit seiner eigenen Not herauszuplatzen: „Kannst du mir verzei...“ Noch während er fragte, wurden seine Augen von der Bewegung hinter Lida abgelenkt. Eine Kinderhand schob sich an ihrer Hüfte vorbei nach vorn, dann tauchte ein kleines, von dunklen Locken umrahmtes Gesicht daneben auf.
„Elias?“ Matthias starrte auf die Erscheinung direkt vor seinen Augen. Ein Wunder, Elias war zurück! Zu keiner Regung fähig starrte er nur,
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