Sturz in die Vergangenheit
hing. Schon während Lidas Schwangerschaft ist er abgehauen.“ Er hob seine Hand und reckte Wolfgang zwei Finger entgegen. „Genau viermal hat er Elias in seinem Leben gesehen. So sehr hat er an ihm gehangen.“
„Er mag sich blöd verhalten haben, damals, aber er war doch immerhin Elias' Vater.“
Matthias erstarrte mitten in der Bewegung. „Wie recht du hast“, sagte er dann ganz ruhig. „Iven war der liebende Vater und ich der Mörder.“
„Scheiße!“ Wolfgang hieb die Faust auf den Tisch. „Niemand sagt, dass du Elias umgebracht hast.“
„Nein, niemand sagt es. Alle bestätigen, dass keiner etwas dafürkann.“ Matthias schüttelte den Kopf. „Ihr denkt es aber. Jeder einzelne von euch. Für euch bin ich der, der Elias auf dem Gewissen hat.“
Wolfgang starrte Matthias an. „Das glaubst du jetzt nicht wirklich.“
„Oh doch.“ Matthias hatte die Augenbrauen zusammengezogen und starrte erbittert zurück. „Denn genau das ist der Grund, warum Lida zu Iven zurückgegangen ist.“
„Du spinnst“, zischte Wolfgang zwischen den Zähnen hervor. „Nur in einem hast du völlig recht. Es war dein abweisendes Verhalten, das Lida zu Iven getrieben hat.
„Klar, dass ich auch daran schuld war“, bestätigte Mattias bitter. „Dann war es sicher auch irgendwie meine Schuld, dass sie sofort wieder von ihm schwanger geworden ist, oder?“
„Oh Mann“, sagte Wolfgang. „Können wir bitte von irgend etwas anderem reden? Ich ertrage dieses Kreisen um Schuld und Nichtschuld nämlich nicht mehr.“
Er hatte völlig recht. Selbst derart aufgebracht wusste Matthias, dass er ungerecht war. Er ließ den Kopf hängen und schob seine Tasse auf dem Tisch umher.
„Mein Kopf weiß, dass ich unschuldig an seinem Tod bin“, gab er schließlich mit leiser Stimme zu. „Es ist mein bescheuertes Herz, das immer wieder sagt: Du hättest besser aufpassen müssen. Du hättest nicht so fasziniert sein dürfen von dieser vermaledeiten Höhle, dann hättest du ihn früher röcheln hören.“ Endlich hob er die Augen. „Ich hatte eine ganze Weile überhaupt nicht an den Kleinen gedacht. Hatte die Tropfsteine betrachtet, überlegt, wo dieses Wasser sein könnte, das da so laut rauschte.“ Er schnaubte. „Ich hab mich so toll gefühlt, wie ein Forscher. Wenn ich diesen verdammten Anfall früher mitbekommen hätte, hätte ich Elias retten können. Das ist es, was mein Herz fast unablässig sagt.“ Er wandte sich ab und sah zur Wand. Die ziemlich kahl war, wenn er von dem öden Sparkassenkalender absah. Auf dem ein Bild vom Königssee abgebildet war. Berge!
Verzweifelt schnaubte er. „Lida hat sehr gut daran getan, mich zu verlassen. Iven ist der bessere Mann für sie und der bessere Vater für ihre Kinder.“
„Iven ist weder ein besonders toller Ehemann noch Vater, glaub mir“, widersprach Wolfgang ebenso leise. „Die beiden haben ständig Krisen, das hat Lida mir erst kürzlich erzählt. Sie sagte, nach einem Streit verschwindet Iven regelmäßig. Außerdem ist er beruflich viel unterwegs. Tatsache ist, er lässt seine Familie sehr viel alleine, oft wochenlang.“ Er sah Matthias eindringlich in die Augen. „Ich weiß nicht, welches Spiel ihr beide da treibt, aber manchmal habe ich den Verdacht, Lida will sich ebenso selbst bestrafen wie du dich.“
„Nein, das will sie nicht“, widersprach Matthias. „Sie ist froh, dass sie mich los ist.“ Er sollte Wolfgang nun endlich erzählen, was damals tatsächlich geschehen war. Nervös rieb er seine plötzlich feuchten Hände über die Hose. „Es war ziemlich genau acht Monate nach Elias' Tod. Lida wollte wieder ein Kind. Mit mir.“ Langsam drehte er sich um und sah Wolfgang direkt in die Augen. „Ich bin derjenige, der sie umbringt, nicht zeugt. Also sagte ich Nein. Da ging Lida zu Iven. Sie war sofort schwanger.“
So, jetzt war es raus. Matthias schwieg und lauschte in sich. War da Erleichterung? Darüber, endlich die Wahrheit gesagt zu haben? Lida hatte ihn verlassen, weil er sich nicht mehr hatte vorstellen können, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Aber sie hatte unbedingt wieder eines haben wollen. Er selbst hatte sie also in Ivens Arme zurückgetrieben.
Der Kühlschrank brummte, draußen rauschten Autos vorüber. Es schien zu regnen.
„Ich – pack dir mal ein paar Medikamente zusammen, falls du dort oben krank wirst“, sagte Wolfgang zögernd in die fast mit den Händen greifbare Stille hinein. „Wann willst du los?“
„Jetzt
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