Styling deluxe / Roman
das Fernsehen, erinnerte sie sich. Jede Frau sollte in einer halbstündigen Episode abgehandelt werden, also was konnte sie da ehrlich erwarten? Lange, liebevolle Plauderstündchen, um die Frauen über Wochen hinweg langsam voranzubringen?
Jetzt erläuterte Finn, wie er sich jede einzelne Sendung vorstellte: Unsichere, schmuddelige Frauen von wer weiß wo sollten – Simsalabim! – im Handumdrehen verwandelt werden.
»Wir muntern sie auf, wir werfen sie in Schale, und dann – so stellen wir uns das vor – nehmen wir sie zu einer Party mit, wo sie Männer kennenlernen«, verkündete er.
Du liebe Zeit!
Er wollte kein Umstyling, er wollte eine gute Fee, die ihren Zauberstab schwang. Annie trank einen großen Schluck von dem schwarzen Kaffee, den man ihr in die Hand gedrückt hatte.
Komm schon!
Sie fing sich wieder. Sie war dieser Sache gewachsen, oder? Wenn sie jetzt einen Rückzieher machte, wären zahllose andere Einkaufsexpertinnen zur Stelle, die nur zu gern für sie einspringen würden, womöglich sogar ohne Honorar. Die vermutlich sogar Finn bezahlen würden, damit er sie nahm. So war es beim Fernsehen! Hunderte, Tausende von Menschen würden Annie bei der Arbeit sehen … Das musste doch Unglaubliches nach sich ziehen. Sie musste ihre Chance ergreifen und das Beste daraus machen. Und sie glaubte fest daran, dass es keiner einzigen schlechtgekleideten Frau auf der Welt nach einer Sitzung mit ihr nicht wenigstens etwas besserginge.
Aber dennoch … sie auszuführen, um Männer zu treffen? Und wenn die Frauen keine Männer kennenlernen wollten? Wenn es auf diesen Partys keine vernünftigen Männer gab? Wenn die Betreffenden den Männern nicht gefielen? Wie Annie sich aus ihren Tagen als alleinerziehende Mutter zweier Kinder erinnerte, kam die Partnersuche einem Spaziergang über ein Minenfeld gleich.
»Wie ihr alle wisst, ist das Budget niedrig«, sagte Finn jetzt. Mit einem Blick in Annies Richtung fügte er hinzu: »Für Outfits und Frisuren … bewegt es sich um zweihundert, vielleicht zweihundertundfünfzig Pfund.« Als Annie die Brauen hochzog, schob er hastig nach: »Ich hoffe, ihr könnt die Frauen überreden, uns ein bisschen entgegenzukommen und ein paar Sachen aus eigener Tasche zu bezahlen.«
Zweihundertundfünfzig Pfund! In ihrem Beruf, täglich umgeben von Designer-Labels, war Annie zu der Überzeugung gekommen, dass 250 £
beinahe
für ein hübsches Paar Schuhe reichten!
Svetlana blickte in ihre Richtung, und nun malte sich auch auf ihrem Gesicht der Schock ab.
Unbeirrt fuhr Finn fort: »Die Frauen, die ihr umstylen sollt … Sicher könnt ihr kaum erwarten zu erfahren, wer diese reizenden Mädchen sind und wo wir sie gefunden haben. Nun, wir haben einen Wettbewerb im Radio veranstaltet und die Leute aufgefordert, sich zu melden oder eine Freundin vorzuschlagen. Und wir haben ein paar Mordsdinger parat, das könnt ihr mir glauben!«
Er zog einen braunen Umschlag aus seinem Aktenordner und entnahm ihm ein paar große Glanzfotos.
»Diese reizenden Damen leben im ganzen Land verstreut. Ein bisschen Reisetätigkeit wird nötig, um sie in ihrer natürlichen Umgebung anzutreffen. Vielleicht richten wir einen
Wonder-Women
-Bus ein, bringen ein bisschen Aufregung ins Spiel.«
Wieder verzog Annie das Gesicht. »Um sie in ihrer natürlichen Umgebung anzutreffen«? Finn verglich die Frauen mit wild lebenden Tieren!
Er hob die Fotos in die Höhe, damit alle sie sehen konnten. Es handelte sich um Ganzaufnahmen, und sie waren nicht gerade schmeichelhaft. Annie registrierte schlechte Haarschnitte, schwarze Hosen, ausgebeulte Hemdchen und fleischige Oberarme. Uärgs, riesige Ohrgehänge, schlechtgetöntes Haar, Sandalen mit Strumpfhosen. Die allerschlimmsten Verbrechen gegen die Mode schienen auf die Kappe dieser Gruppe zu gehen. Dennoch machte Annie sich unwillkürlich im Geiste Notizen: Für diese Figur muss es etwas länger sein, für jene eine leuchtendere Farbe, hier ein Kleid auf Taille, weil diese Arme eigentlich schön sind …
Plötzlich fing sie an, sich so gut zu fühlen wie den ganzen Tag noch nicht, denn sie wusste, dass sie prima zurechtkommen würde. Zwar ging es um Fernsehen, nicht um das wirkliche Leben, und sie musste ihre Arbeit in ungefähr einem Zehntel der gewohnten Zeit und mit einem Bruchteil des üblichen Budgets erledigen, aber immerhin würde sie das tun, was sie liebte. Und daraus würde etwas Großartiges entstehen. Sie wusste es!
In diesem Augenblick wandte Miss
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