Styling deluxe / Roman
jetzt Hosen, was äußerst ungewöhnlich für sie war. Sie war eine eingefleischte Kleiderträgerin. Doch die Hose mit den weitgeschnittenen Beinen sah mit High Heels, einer Weste und der flippigen pinkfarbenen Bluse ziemlich gut aus, und sie würde dazu noch ein paar Halsketten und ein langes wehendes Tuch umlegen. War das fernsehmäßig? Ein bisschen kreativ? Künstlerisch?
Vielleicht doch nicht.
Nein.
Sie musste sich umziehen – etwas anderes probieren.
Ein lauter Hupton drang in ihre Gedanken.
Sie waren da! Ihr Wagen war gekommen! Jetzt oder nie; sie musste ihre Handtasche holen und los. Sie sah in den Spiegel und fand die Hose abscheulich. Abscheulich! Es war ein grauenhafter Fehler. Trotzdem schnappte sie sich ihre liebste, luxuriöseste Handtasche, warf ihre Geldbörse hinein und lief aus dem Haus.
Am Straßenrand wartete ein ziemlich angeschlagen wirkender Kombi auf sie. Der Mann hinterm Steuer winkte ihr fröhlich zu. Als sie näher kam, kurbelte er das Fenster herunter und rief: »Hallo, Glamour-Girl, du bist dann wohl Annie Valentine?«
»Hallo«, erwiderte sie. »Bringst du mich zum Studio?«
»Ja, Bob Barratt, Kameramann von
Wonder Women,
stets zu Diensten.« Er salutierte scherzhaft, lehnte sich über den Beifahrersitz und öffnete ihr die Tür.
»Komm, setz dich neben mich, da ist es nett und freundlich, und du gehst nicht in all dem Gerümpel auf dem Rücksitz verloren.«
Annie stieg ein und schüttelte Bob begeistert die Hand. Mit einem Blick über die Schulter sah sie, dass der gesamte Rücksitz mit Ausrüstung vollgestopft war: Kameras, Kamerataschen, Dreibeine, Kabel, Leuchten und eine Auswahl an Jacken – wasserdicht, gewachst, Daunen, dazu ein Stapel Baseballkappen.
»Ich reise gern mit leichtem Gepäck«, witzelte Bob und ließ den Motor an. »Also … die Fahrt dauert vierzig Minuten. Zeit genug, uns kennenzulernen.« Er wandte sich ihr zu, lächelte sie vergnügt an und schob den Schirm seiner Baseballkappe höher, um Annie besser ansehen zu können. »Du wohnst ungefähr auf meinem Weg, deshalb meinte Finn, ich sollte dich abholen. Um die Taxikosten zu sparen, schätze ich. Ich glaube, Sparen ist die Devise bei dieser Show. Das ist mittlerweile allerdings beim Fernsehen überall das Gleiche … Ich bin seit achtundzwanzig Jahren im Geschäft und habe so etwas noch nie erlebt.«
»Seit achtundzwanzig Jahren? Du siehst nicht annähernd alt genug dafür aus«, versicherte Annie ihm rasch.
»Aha!« Bob tat das Kompliment mit einem Lachen ab.
Wenn er mit achtzehn angefangen hatte, müsste er jetzt etwa sechsundvierzig sein, schätzte Annie. Er war ein fit wirkender Sechsundvierziger, die enge Jeans und die robuste braune Lederjacke standen ihm gut. Stahlgraues Haar lockte sich unter der Kappe, Lachfältchen hatten sich tief in sein dunkel gebräuntes Gesicht eingegraben. Entweder fuhr er häufig in Urlaub, oder er war ein wettergegerbter Frischluftfanatiker-Typ. Er wirkte entspannt, lachte und scherzte gern, und deshalb versuchte Annie, sich ebenfalls zu entspannen.
»Du bist also neu beim Fernsehen?«, fragte Bob, als der Wagen sich in den fließenden Verkehr einfädelte.
»Ja, heute ist mein erster Tag«, gestand sie.
»Tja, die erste Regel lautet: Du musst sehr, sehr nett zum Kameramann sein«, meinte er scherzhaft. »Ich entscheide, aus welchem Blickwinkel ich dich filme, Mädchen. Es liegt an mir, ob du wie Marilyn Monroe oder wie Marilyn Manson aussiehst. Also sei nett!«
»Okay«, stimmte sie zu. »Wenn du mir dann bitte alles erklärst, was ich sonst noch wissen muss …«
Es dauerte gestrichene fünfzig Minuten, bis sie die Studios erreichten. Der Verkehr war dicht, und außerdem bestand Bob darauf, ein Drive-in aufzusuchen, um Kaffee und Frühstücksbrötchen für sie beide zu besorgen. »Man kann nie wissen, wann es das nächste Mal was zu essen gibt. Da muss man ordentlich frühstücken«, erklärte er.
Endlich war der Kombi geparkt, und Bob lud die schweren Kamerataschen und das Dreibein aus.
»Mir nach!«, forderte er sie auf. »Zeit, reinzugehen und die Familie kennenzulernen.«
Als sie sich an der Rezeption gemeldet hatten, spürte Annie, dass ihr vor Nervosität der kalte Schweiß ausbrach. Sie liefen durch mehrere enge Flure, bis Bob schließlich die Tür zu einem kleinen Raum öffnete, in dem es schon von Menschen wimmelte.
Zu ihrer Erleichterung sah Annie, dass Svetlana schon da war. Sie saß elegant auf einem Stuhl, nippte Tee aus einem
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