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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Kinder armer Schlucker sollen dort in den nächsten zehn Jahren eine Chance bekommen. Zerknirscht las ich den Text bis zum Schluss.
    Der Artikel erinnerte mich an meinen letzten Besuch in dem Land, wo ich ein paar Leute traf, die ihre Chance wohl verpasst hatten. Fotograf Rolf Nobel und ich machten eine Reportage über die Flats , das Areal hinter dem Tafelberg im Osten Kapstadts. Windig, flach, riesig, hunderttausend aus Blech und Pappdeckeln zusammengenagelte Bruchbuden. Ein Bandenkrieg ging um. Drogen, was sonst. Weit über die Hälfte vegetierte hier als Arbeitslose und Analphabeten, viele der Bewohner nannten sich Tagelöhner.
    »Mögest du in interessanten Zeiten leben«, so lautet ein chinesischer Trinkspruch. Hier die interessanteste Zeit dieser Tage: Mit Hilfe eines Mittelsmanns gelangten wir in ein Crackhouse . Hinter einer mit Stahlplatten gesicherten Tür lagen sechs schmuddelige Räume, voll mit dösenden Crackheads, die abwesend ihre Crackpfeife rauchten. Zwei Huren luden uns ein in ihr Zimmer, und wir zahlten für jedes gemeinsame Pfeifchen. Damit sie redeten und uns vom Leben und Siechen vor Ort erzählten. Und sich ablichten ließen. So waren die Regeln, anders kam keiner an sie ran. Nicht als Freier, nicht als Reporter.
    Aber irgendwann schlug die Situation um, die zwei Elendsfiguren taumelten in ein hysterisches High und legten sich mit uns an. Uns, den Kamerabesitzern, den Geldbesitzern. Crack kann befrieden, Crack kann aufpeitschen. Meist das. Zuschauen, zuhören und Bilder machen, alles war plötzlich vorbei. Es kam zu einem aberwitzigen Auftritt. Der Fotograf sicherte die Tür, damit sich keiner der anderen Fixer mit einer halbautomatischen Glock (eine der beliebteren Handfeuerwaffen vor Ort) zu uns verirrte, und ich wälzte mich mit einer abgefeimten Nutte am Boden, um wieder in den Besitz unserer Habseligkeiten zu gelangen. Dabei stets bemüht, den Bissen der Wilden auszuweichen. Sicher trug sie ein paar lebensgefährliche Viren mit sich herum. Ich war dabei, den Kampf zu verlieren, als unser Mittelsmann an der Tür klopfte, endlich. Nach weiteren drei Minuten gewannen wir die Schlacht, Portemonnaie, Kreditkarten und Geräte gehörten wieder uns. Im Sturmschritt an den Panzerplatten vorbei ins Freie.
    Da lobe ich mir die Oprah. Sie kam nicht ins Land, um anderen ein halbes Dutzend Giftportionen zu spendieren. Sie kam und besorgte ein Haus, in dem jeder sein Hirn ausbeuten darf. Auf dass in künftigen Zeiten die Kriege aufhören, die Bandenkriege. Sowie die Angst, das Dösen und Verblöden. Ich schwör’s, das nächste Mal stelle ich mich vor der Schule auf und singe den Zehnjährigen das Hohelied von einem anderen Leben. Eben das grandiose Lied vom eigenständigen Leben, vom selbstverantworteten, vom Leben, in dem keiner huren und keiner Drogen schlucken muss, um es auszuhalten.

    NEW YORK FÜR ANFÄNGER
    Um 14.33 Uhr Landung auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen. Ich nahm den Bus nach Manhattan und stieg in der 42nd Street aus. Früher war das eine aufregende, dreckige Straße. Mit Predigern, die jedem die Hölle in Aussicht stellten, der hier vorbeikam. Mit Zuhältern, die nicht den Himmel, aber immerhin fünfzehn Minuten Entspannung versprachen. Mit Daddys, die verschwitzt (und schuldbeladen) aus Videokabinen eilten. Heute blitzte die Forty-second, aus dem Sündenpfuhl war ein Einkaufsparadies geworden. Auch eine Art Hölle, irgendwie hatten die Prediger recht.
    Über einem Toreingang blinkten die Wörter Budget Room Office , ich ging hinein und fragte nach einem Zimmer. Ich wollte drei Nächte in New York bleiben. »Sorry, everything’s full«, war die knappe Antwort. Ich ließ mich noch auf die Warteliste setzen und wischte hinaus. Kaum war ich draußen, hörte ich schnelle Schritte und jemanden hinter mir herrufen. Ich drehte mich um und sah den dicken Jack, den Angestellten, der mich gerade abserviert hatte.
    Oh ja, Jack hatte ein Zimmer. Er stotterte jetzt, meinte, dass er nebenbei – er wollte sagen, am Boss vorbei – in Notfällen einspringen würde. Ich blickte auf den sympathischen Kerl und dachte, dass ich schon immer ein Faible für Leute hatte, die habgierigen Chefs hinterrücks ein paar Scheine entzogen. Zudem brachte das Schwarzgeschäft auch mir Vorteile, die Bearbeitungsgebühren entfielen. Leichten Herzens sagte ich zu.
    Jack strahlte und führte mich zu einem unscheinbaren Mietshaus, nur ein paar Ecken weiter. Im dritten Stock öffnete er eine passable Wohnung, sagte

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