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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Inbrunst zahlte sich aus. 99,96 Prozent der Iraker hatten beim letzten »Referendum« für den ehemaligen Jurastudenten (sic!) gestimmt. »Vox populi, vox Rindvieh«, der Satz stammt nicht von Karl Kraus, sondern von Erica Jong.
    Zu den zehntausend Postern kam das täglich neu ausbrechende Getöse in den Medien. Halleluja, Jubelschreie, Liebesgedichte, Ruhmgesänge, jeden Morgen des »Führers« Konterfei auf den Titeln der Zeitungen, alle Hofberichterstatter vereint im vierundzwanzigstündigen Freudentaumel ob seiner Existenz. Die Inbrunst zahlte sich aus. 99,96 Prozent der Iraker hatten beim letzten »Referendum« für den ehemaligen Jurastudenten (sic!) gestimmt. »Vox populi, vox Rindvieh«, der Satz stammt nicht von Karl Kraus, sondern von Erica Jong.
    Die Mutter aller Gründe für die Kantersiege des umtriebigen Massenmörders, der zuletzt da endete, wo er Tausende andere hatte enden lassen, am Galgen, nun, der bedrohlichste Grund hieß: Angst. »Don’t trust your brother«, flüsterte mir einer von den wenigen zu, die sich noch trauten zu flüstern. Der Geheimdienst verfügte über eine lange Gehaltsliste. Drei Abteilungen existieren, eine für die Armee, eine für die Arabisch-Sozialistische Baath-Partei und die dritte, die gefürchtetste, arbeitete exklusiv für den »Befreier des Orients«. Ein Heer von Zuträgern, Agents Provocateurs, V-Männern, V-Frauen, Lauschern und Aufpassern überzog das Land. Sogar die Klageweiber waren gekauft. Die Spitzenkader hatten ihr Handwerk des Lauschens und Folterns (auch) in der DDR gelernt. Honecker pflegte schon lange ein Faible für den »Friedensfürsten«. Natürlich, auch der Westen tändelte gern mit dem Vampir, dem pünktlich zahlenden Liebhaber von Panzerflotten und Bombergeschwadern. Der Ex-Bauernsohn war bauernschlau, kein Zweifel, er kannte sich aus mit der Gier, seiner und der aller anderen.
    Ich will sechs Begegnungen erzählen, sechs Fundsachen beim Wandern durch Bagdad. Damals, als »Nebukadnezar II« noch Blut saugen durfte und die amerikanische Regierung noch nicht das Lügenmärchen von den »Massenvernichtungs-Waffen« Husseins erfunden hatte. Damals, als Ausländer noch die Hauptstadt betreten konnten, ohne fürchten zu müssen, am Abend enthauptet in einem Straßengraben zu landen.
    Erste Episode: Ich wollte über die Brücke des 14. Juli . Das ging nicht, weil jemand sofort auf mich zu rannte, wild gestikulierend die Unterarme kreuzte und »Kalabschat, Kalabschat« schrie. Das ist ein wichtiges Wort in dieser Weltregion, es bedeutet »Handschellen«. Wie eindeutig. Jeder Fußgänger auf dieser Brücke würde im Zuchthaus landen. Diskussionen sinnlos, der Spitzel verwies auf ein Taxi. Nur motorisiert durfte man auf die andere Seite des Tigris. Einen Grund für die Schikane gab es nicht, ich fragte und keiner antwortete. Einzige denkbare Erklärung: Irgendwo weit hinter Büschen, Bäumen und schlaflos bewachten Mauern lag einer der Paläste des »Kriegers der Krieger«.
    Zweites Beispiel. Ein Supermarkt mitten in der Altstadt. Bodycheck am Eingang, Öffnen der Taschen, Suche nach Waffen. Ein mehrstöckiges, eher bescheidenes Kaufhaus. Plötzlich fingen zwei Männer zu streiten an, blitzschnell die ersten Hiebe. Warum? Einer der beiden trug einen Kopfverband mit einem faustgroßen, hellrot getrockneten Blutfleck. Was den anderen maßlos ärgerte. Denn so unbedenklich sich herzuzeigen untergrabe die Moral der Bevölkerung. Als das Paar keuchend in die Knie ging, lösten sich fast gleichzeitig drei andere Männer aus der Menge und eilten auf die beiden Raufbolde zu. Ein einziger schneidender Zwischenruf genügte, ohne Widerrede erhob sich das zänkische Duo, senkte die Köpfe. Abgang zu fünft.
    Dritter Vorfall. Ich befand mich im Innenhof der Khadimiya Moschee , des bekanntesten Schiiten-Heiligtums der Stadt. Schon die Anwesenheit eines Fremden war verboten. Aber die Gläubigen reagierten nicht, nur ab und zu ein befremdlicher Blick. Ich kam mit drei Soldaten ins Gespräch, Small Talk, wie ich hieß, wie sie hießen, ob ich Schiit wäre, alles harmlos. Freundlich entsprachen sie meiner Bitte, sich zum Foto aufzustellen. Die drei waren nur Staffage, ich wollte das Gebäude fotografieren. Unauffällig. Nicht unauffällig genug. Nach dem ersten Klicken sah ich im rechten Augenwinkel zwei Männer vom Gebetsteppich sich erheben und im Eilschritt näher kommen. Noch fünf Meter entfernt riefen sie: »Polizei, Film her.« Zwei Zivilbeamte als biedere

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