Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs
jedes Mal schallend zu lachen anfing. Ich wollte so unvorstellbare Sachen wissen wie: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Was ist der Sinn des Lebens? Woher kommen wir? Hatte der Meister zu Ende gelacht, schickte er mich weg. Irgendwann begriff ich, dass auf absurde Fragen nur absurde Antworten passten. Oder eben Gelächter. Hatte ich nach Monaten etwas gelernt, dann vielleicht: im Augenblick zu leben, bescheidener formuliert, gelernt zu versuchen, im Augenblick zu leben.
Jahre später lief ich in Indien einem Guru über den Weg. Der Typ begrüßte mich mit den einfachen Worten: »Ich bin hier, um dich zu verwirren.« Den Satz werde ich noch auf dem Totenbett flüstern, so zielgenau redete er von Asien. »Asienexperte«, das ist ein lustiges Wort.
ZWEI AFRIKANISCHE WUNDER
Johannesburg ist ein anstrengender Ort. Der Fotograf Ken Oosterbroek und ich recherchierten für eine Reportage in einem der vielen Slums. Wir kamen gerade aus der Bruchbude einer Familie, die zu elft in einem Raum lebte. Uns schwindelte noch von den Schreien der zwölfjährigen Samangeli. Die Kleine war vor Wochen auf den brennenden Paraffinkocher gefallen. Seitdem musste man sie mit Gewalt festhalten. Damit sie ihre teuflisch juckenden Brandnarben nicht blutig kratzte.
Vor der Bruchbude wartete der nächste Schreck. Drei Gangster hießen uns willkommen. Mit einer Pistole vor Kens Magengrube und einem Messer an meinem Hals. Sie forderten die Kameras und den Autoschlüssel. Sekunden später geschah etwas Ungeheuerliches. Der alte Credo, Vater der verunglückten Tochter, stürzte heraus, stellte sich zwischen die Walter P38 und den Fotografen und schrie das Gesindel an: »Warum tut ihr das? Ist das unser neues Südafrika? Was würde Mandela dazu sagen?«
Ich glaube, ich grinste heimlich, trotz aller fürchterlichen Ängste. Absurderweise fiel mir Berlin ein, ich sah diese Szene dort stattfinden, sah einen hilfsbereiten Nachbarn heranstürmen und schreien: »Ist das unser neues Deutschland? Was würde Kohl dazu sagen?«
Nicht, dass der Hinweis auf den Präsidenten die Halunken zur Nachsicht bewegt hätte, grimmig brausten sie mit unserem Wagen davon. (Aber ohne Kameras, Ken hatte die Herausgabe verweigert, worauf der Ganove abdrückte und die Walter … blockierte.) Dennoch – trotz der Adrenalinkeule – hatte ich in diesem Moment begriffen, wie tief das Mahnmal Mandela in der südafrikanischen Seele verwurzelt war. Ein einfacher Landarbeiter riskierte sein Leben, um uns – zwei Weißen(!) – zu Hilfe zu eilen.
Jahre später war ich wieder in Johannesburg, nun für einen Bericht über Nelson Mandela. An einem warmen Wintermorgen fuhren wir zur Sacred Heart Nursery , einem katholischen Kindergarten. Hier wurde der Präsident erwartet, ein Höflichkeitsbesuch stand an.
Man will es nicht fassen, aber mit »katholisch« assoziierte man in diesem Land – einst beschlagnahmt von moralinsauren Calvinisten – ein eher lebensbejahendes Gefühl. Seit 1976, nicht zu früh, stand diese Krippe allen Rassen offen, auch der »warte Gevaar«, der schwarzen Gefahr.
Bevor Mandela eintraf, durften wir uns umschauen. Ich arbeitete an diesem Tag mit einem anderen Fotografen zusammen. Ken Oosterbroek, der Freund, war inzwischen tot, erschossen. Keine Ladehemmung hatte ihm diesmal das Leben gerettet.
Missis Tietjens, die Leiterin, erzählte ihre Lieblingsgeschichte: Eines der zweihundert Kinder hieß Willie, ein weißes Kind. Kurz darauf kam noch ein Willie, ein schwarzer Junge. Ganz automatisch hielten die Erwachsenen die beiden auseinander, indem sie den einen den »weißen Willie« riefen und den anderen den »schwarzen Willie«. Bis die Kinder es ihnen vormachten, weiser vormachten. Den einen Vierjährigen nannten sie den »alten Willie« und den anderen Vierjährigen den »neuen Willie«.
Wenige Minuten vor neun bog die Kolonne mit dem hellgrünen Mercedes des Präsidenten in den Hof. Da es noch immer viele Zeitgenossen unter den dreißig Millionen gab, die haarscharf weiß und schwarz voneinander trennten, sprich, von Versöhnung nichts wissen wollten, kamen zuerst neun Bodyguards zum Vorschein. Wunderbar still wurde es für einen Augenblick, dann öffnete der Fahrer die hintere Wagentür und Nelson Mandela stieg aus. Er gehörte zu jenen Männern, die immer schöner wurden. Behutsam und mit leicht gekrümmtem Rücken betrat er den Kindergarten. Nicht zu übersehen, The Long Walk to Freedom –so der Titel seiner Autobiografie – war lang und
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