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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Preis gewann immer das Personal. Weil es meisterlich darauf trainiert ist, jedem Mega-Ego, das hier absteigt, jedem Protzer und Hornhautmenschen das ununterbrochene Gefühl zu vermitteln, einzigartig zu sein. Mit Raffinement füttern sie hier jeden Wichtigtuer mit der Illusion, wichtig, nein, superwichtig, zu sein.
    Ich kam mit Herrn Thomas H. vorbei, einem bekannten, vielgereisten Fotografen, mit dem ich für eine Reportage in Thailand gearbeitet hatte. Ein haltloser Zyniker, den ich hier zum Abendessen einlud. Ich wollte ihn therapieren, ihm seinen Zynismus wegschmelzen. Ich dachte, das sei der rechte Ort. Ich täuschte mich. Ich scheiterte. Trotzdem, die zwei Stunden waren lehrreich, ich will sie nicht missen.
    Wir gingen ins Rim Naam Restaurant , das zum Haus gehört, direkt am Chao Phraya River gelegen. Ein Märchenplatz. Dennoch vergebens, nichts half, um den Mann von seinen beiden Lieblingsbeschäftigungen abzubringen, unglücklich und zynisch zu sein. Nicht die schaukelnden Lichter auf dem Wasser, nicht die kühlende Brise, nicht das beispiellos freundliche Ambiente. H. blieb verstockt, blieb reinrassig weiß, wusste auch hier noch, wer schlecht war und wer schlechter. Schlecht waren die Weißen, aber schlechter die Asiaten. Die Thais nannte er »rassistisch«, ja, rassistisch: »Weil sie dich anlächeln und dabei nichts anderes im Sinn haben, als dir das Messer reinzurammen.« Das klang besonders komisch, denn als er den Satz – gottlob auf Deutsch – aussprach, stand ein schöner Mensch neben unserem Tisch. Um H. nachzuschenken. Begleitet von einem vollendet rassistischen Lächeln. Einen wirren Augenblick lang suchte ich das Messer in der Hand der Schönen. Es gab keines, nur französisches Sprudelwasser.
    H. ist deshalb so interessant, weil er kein Einzelfall ist, sondern ein Typus: der professionelle Weltreisende mit dem Gedankengut eines Provinzlers, der Inhaber eines voll gestempelten Passes mit einer mäßig funktionierenden Großhirnrinde. Beim Abschied kam H. keine Sekunde die Idee, sich für die Einladung zu bedanken. Als ich ihn hinter einem Straßeneck verschwinden sah, war ich außerstande zu sagen, was furchterregender an ihm war. Sein Zynismus oder sein Unglück. Beide nährten einander. So kann einer vielmals die Welt umrunden und sich jedes Mal standhaft weigern, von ihr zu lernen. Reisen als Sackgasse. Bravo.

RÄTSEL UND FASSUNGSLOSIGKEITEN

    MÜTTERCHEN RUSSLAND
    Gleich vorweg ein Geständnis. Die Reise liegt lange zurück, über zwanzig Jahre, Steinzeit, jene Zeit eben, in der die Kommunisten in der Sowjetunion wirtschafteten. Ich denke gerne daran. Weil die Schmerzen verheilt sind, auch keine Narben mehr brennen, nur noch Heiterkeit ausbricht bei dem Gedanken an die Betonköpfe und ihre Untertanen. Die kurze Erzählung soll auf bescheidene Weise daran erinnern, was alles menschenunmöglich ist, wenn Denkverbote das Hirn knebeln und es täglich von ewigen Wahrheiten geschurigelt wird.
    Ich hatte Glück. Schon auf dem Weg in die Hauptstadt wurde ich eingestimmt. Ab Budapest hing am Zugende ein Speisewagen. Als ich zwei Stunden später dort eintraf, kam ich zu spät. Ich bestellte einen Tee, doch der Tee war schon weg. Diskrete Nachforschungen ergaben, dass er inzwischen von den zwei Kellnerinnen verkauft worden war, en gros, hurtig und umsichtig. Nicht an Gäste, sondern an Zwischenhändler, die an den Stationen bereits warteten. Als ich missmutig die Frechheit kommentierte, schleuderte mir die gewichtige Galkina einen Satz entgegen, den ich überrascht, ja freudig notierte: »Ich glaube nicht an Lenin, nicht an Gorbatschow, auch nicht an Demokratie, ich glaube an Cash.« Galkina sah aus wie eine Babuschka und redete wie eine Neoliberale.
    Die Sowjets waren beides, Täter und Opfer. Am Ziel, dem Kievski-Bahnhof, sah ich einen Bauern vorbeieilen, auf seiner Reisetasche stand: »Denk an die anderen! Sicher auf Bayerns Straßen!« Wäre das kein Thema für einen Roman? Die Geschichte dieses pinkgrellen Plastiksacks und jene des bayerischen Lumpen, der dem armen Bäuerlein für den Schrott sicher die Ersparnisse der letzten zwei Monate abgeknöpft hatte. Die Russen waren schon damals verrückt nach westlichen Konsumgütern. Kein Wunder, dass sie von jedem über den Tisch gezogen wurden.
    Ich stieg im Hotel Ukrania ab, das ähnlich brachlag wie die Republik, durch die ich gerade gekommen war. Es begann mit dem Kampf im Lift. Im neunten Stock befand sich das Zimmer, aber hier wollte er nicht

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