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Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs

Titel: Sucht nach Leben - Geschichten von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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zehrend.
    Hinter der Eingangstür lag ein Südafrika, von dem der Alte in seinen 10 527 Gefängnisnächten geträumt haben muss. Quirlige Rotznasen – hemmungslos desinteressiert an Hautfarben – rannten durcheinander, kreischten, teilten die Spielwiese großzügig mit Schweinchen Babe und Ziege Prince. Die begabt faul in der Sonne lagen.
    Viel Zeit war nicht. Die Winzlinge belagerten den Helden, ein Foto wurde arrangiert, der Urgroßvater saß in der Mitte, drei der Fünfjährigen kletterten auf seine Knie, einer deutete auf die berühmte Nase und sagte: »Ich sah dich im Fernsehen.« Zuletzt schmetterten alle »twinkle, twinkle little star«.
    Ich hatte es kommen sehen und es passierte. Als der Achtzigjährige sich erhob, ging ich auf ihn zu und streckte ihm sein Buch entgegen. Ob er nicht signieren wolle? Und der Autor warf einen freundlichen Blick auf den Bittsteller, schrieb seinen Namen hinein und reichte es lächelnd zurück. Ich schaute auf die Unterschrift und heulte. Wie lächerlich, ich weiß. Aber so war es.

    ANDERE LÄNDER, ANDERER SEX
    Ich streunte durch Saigon, nachts. Nach einer knappen Stunde stand ich vor einem Rohbau, eher zufällig. Ich hielt einen Moment inne, da ich mir einbildete, im ersten Stock Schemen von Personen zu sehen. Undeutlich, denn vor der Fassade hing ein Bambusvorhang. Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da erschien ein Mädchenkopf auf der Balustrade und rief zischend: »Come, come.«
    Ich folgte ihrer Armbewegung und huschte über eine provisorische Treppe hinauf. Sobald sich die Augen an das diffuse Licht der Straßenlampen gewöhnt hatten, blieb kein Zweifel. Ich wurde als Kunde gerufen. Um in diesem Sackgassen-Puff den gebotenen Service in Anspruch zu nehmen. Ich war zu überwältigt von dem Gebotenen, als dass irgendein Gedanke an Erotik aufgekommen wäre. Das hier war neu, unheimlich neu. Als Reporter durchquert man so manches Bordell, aber in dieser vietnamesischen Mainacht entdeckte ich den harten, den härtesten Strich. For adults only .
    In einem langen, länglichen Raum – unverputzte Wände, kein einziges Möbel – standen die Mädchen. Und die Männer, meist in Dreiergruppen, flanierten an ihnen vorbei, nickten irgendwann mit dem Kopf und die Hure ging mit. Ein paar Schritte, bis irgendwo zwei Quadratmeter frei waren und die Allzeitbereite eine Plastikfolie auf dem Betonboden ausbreitete, die Scheine verstaute (drei Dollar pro Männerglied), sich auf den Rücken legte, den Slip abstreifte und die Beine öffnete. Das war das Startzeichen für den ersten Anwärter, der nun seine Hose bis zu den Oberschenkeln runterzog, sich niederkniete, mit ein paar trockenen Stößen sein Bedürfnis hinter sich brachte, aufstand, sich wieder bedeckte, den Reißverschluss zuzog und dem nächsten Kunden – er wartete direkt hinter ihm – Platz machte. Wieder die trockenen Stöße. War der Letzte in der Reihe fertig, wischte die Prostituierte mit einem Stück Toilettenpapier über ihren Intimbereich, fingerte nach dem Höschen, faltete das Plastik und ging zurück an die Mauer.
    Nicht jeder griff nach einem Kondom, nicht jede bestand darauf. Alles geschah wie hinter Glas. Wer redete, flüsterte. Kein Laut des Ekels, kein Lustseufzer, nur die seltsam unspektakulären Geräusche von Männern und Frauen, die sich begatteten.
    Später würde ich mich an das Knirschen von Schuhsohlen auf Kieselsteinen erinnern, Männerschuhsohlen, die an den bereits beschäftigten Mädchen vorbeischlenderten und einen kühlen Blick auf sie warfen, sich wohl fragten, ob sie sich hier anstellen sollten oder vor einer anderen, nicht weniger abwesend daliegenden Frau.
    Wie schaffte der Mensch das? Die Frau da, die Männer da.

    SCHWUL ODER NICHT SCHWUL
    Am heftigsten zittere ich vor jenen Zeitgenossen, die immer online sind, genauer, »online with god«. Den Ausdruck habe ich von einem englischen Hochwürden, der sagen wollte: Direkt verbunden mit dem Herrgott, sprich, immer im Vollbesitz der Wahrheit.
    Eine der allerletzten Wahrheiten von Hochwürden – ich fand sie in einer englischen Tageszeitung – war die Tatsache, dass Homosexualität widernatürlich (»perverted«) sei. Seine Kirche und viele Hochwürden stimmten ihm zu. Unbefleckte Empfängnis natürlich, zwei Männer im Bett unnatürlich. Dank den »lumières« (Lichter!) – so hübsch nennen die Franzosen die Aufklärung – müssen die Unnatürlichen nicht mehr auf den Scheiterhaufen. Aber Stuss müssen sie sich anhören,

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