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Süchtig

Titel: Süchtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Richtel
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Patienten befasste. An Bullseyes Stelle hätte ich mich deutlich mehr darüber aufgeregt als er.
    Wenn die Learys schlecht drauf waren, besaßen sie hohen Unterhaltungswert. An guten Tagen waren sie echte Freunde. Nach Annies Tod hatte ich mich von vielen meiner alten Freunde zurückgezogen, was beiden Seiten entgegenkam. Ich brauchte Abstand von meinem früheren Leben, weil ich die wohlmeinenden Versuche, mich mit immer wieder neuen Frauen zu verkuppeln, nicht mehr ertrug. Meine alten Freunde dagegen konnten mit der Melancholie nicht umgehen, die mich umgab. Außerdem waren viele von ihnen Assistenzärzte im Krankenhaus, sodass ihnen neben der Arbeit höchstens noch Zeit zum Schlafen blieb. Samantha und Bullseye füllten die Lücke. Oft hörten sie einfach nur zu. Diesmal hatte ich wirklich etwas zu erzählen.

    »Bonds hat zwei von vier Bällen geschlagen«, sagte Bullseye, als er mich sah. »Aber das Interessanteste kommt noch.«
    Bullseye hatte mit Sicherheit von der Explosion im Café gehört, konnte aber nicht wissen, dass ich dort gewesen war. Daher war die Tatsache, dass er meine zerrissene Kleidung völlig ignorierte, angesichts seiner mangelnden sozialen Kompetenz nicht weiter ungewöhnlich.
    »Arbeitsteilung«, schlug ich vor. »Ich hole uns ein Bier, und du erzählst mir, was so interessant war.«
    »Im zehnten Inning hatte er einen Walk«, erklärte Bullseye. »Damit ist sein On-Base Percentage nicht nur der höchste, den je ein Spieler so spät in der Saison erreicht hat, sondern der höchste überhaupt nach dem ersten Monat einer regulären Saison.«
    Ich stellte die Biergläser ab, die ich an der Theke geholt hatte. »Ich war im Sunshine Café.«
    Bullseye sagte nichts, aber ich spürte, dass er den Kopf einzog, wie er es immer tat, wenn seine linke Gehirnhälfte gefordert war. Samantha legte die Hände auf meine Knie, sah mir prüfend ins Gesicht und riss mich in ihre Arme.
    »Hilfe, du zerquetschst mich! Soll ich in meiner Stammkneipe ersticken, nachdem ich gerade erst einer Explosion entkommen bin?«
    »Durch den Mund atmen! Das setzt die Giftstoffe frei.«
    Schließlich ließ sie mich los.
    Ich erzählte ihnen von meinem Abenteuer.
    »Bist du sicher, dass es Annies Handschrift war?«, fragte Samantha.

    Ich zuckte die Achseln. Ich hätte es schwören können, aber es war wohl unmöglich.
    »Liegt das Café nicht in Annies altem Viertel?«
    Ich nickte. »Ich war bei einem Basketballspiel und hatte in der Marina was zu erledigen. Sonst bin ich nicht mehr oft in dem Lokal. Wir waren da immer sonntags zum Brunch.« Es klang, als müsste ich mich verteidigen.
    Samantha kniete sich vor mich auf den Boden. »Vielleicht warst du in Gedanken bei Annie, ohne es zu merken. Die Explosion hat dich aus dem Gleichgewicht gebracht und damit ein Tor in deiner Erinnerung geöffnet. Das Ganze hat sich auf einer anderen Bewusstseinsebene abgespielt.«
    »Papperlapapp«, knurrte Bullseye barsch.
    In seinen Augen sah ich, dass er sein Urteil schon gefällt hatte. Er war Annie nur einmal begegnet, hatte aber sofort seine Abneigung kundgetan. Ein anderer Stammgast in unserer Bar hatte mir erzählt, dass er sie mit dem Peace-Symbol verglichen hatte: eingängig, aber ohne Substanz. Bullseye hatte nicht viel für die Reichen und Schönen übrig. Vielleicht passte meine leidenschaftliche Liebe zu ihr auch nicht in sein mathematisches Weltbild.
    Je mehr ich mich mit der Geschichte befasste, desto sinnloser kam sie mir vor. Wenn es ein Unfall gewesen war, gab es keine Erklärung für die Warnung, die ich erhalten hatte.
    Andererseits konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wieso jemand ein Café in die Luft jagen wollte, das nur von Leuten aus der Nachbarschaft frequentiert wurde.

    Wir tranken noch zwei Runden, aber keiner sagte mehr etwas. Irgendwann setzte sich Samantha auf Bullseyes Schoß und fütterte ihn mit Erdnüssen, während er sich das Spiel ansah. Ich nutzte die Gelegenheit, um unauffällig zu verschwinden. Trachtete mir jemand nach dem Leben? Oder wollte mich jemand schützen?
    Vielleicht beides.

6
    Es war schon nach Mitternacht, als ich endlich wieder in meinem Loft war. Ich schleppte meinen Laptop zum Sofa, um meine E-Mails abzurufen, aber der Akku war leer. Offenbar war er den ganzen Tag eingeschaltet gewesen. Als ich den Computer am Schreibtisch eingesteckt hatte, überwältigte mich die Müdigkeit. Das Kinn sank mir auf die Brust, und ich fiel in tiefen Schlaf. Dabei träumte ich von Annie, die

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