Süchtig
sich in Millionen winzige Computerpixel auflöste.
Klagendes Maunzen und ein schrilles Klingeln rissen mich aus meinem Schlummer. Für das Maunzen war mein Kater verantwortlich, für das Klingeln mein Redakteur. Beide wollten etwas von mir.
Hippocrates, der schwarze Kater, der auf meiner Brust saß und nach Frühstück verlangte, war ein Geschenk von Samantha. Angeblich sollte er mich lehren, weniger »Hund« zu sein und stattdessen meine innere Katze zu entwickeln. Ich bellte ihm ins Gesicht, worauf er sich fluchtartig in die Küche zurückzog.
Der Anrufer war Kevin. »Hast du einen Augenblick Zeit?«
Die Kommunikation zwischen Autoren und Redakteuren
ist ein weites Feld. Erstaunlich viele Gespräche beginnen mit diesen Worten. Darauf folgt jedoch keineswegs ein kurzer Gedankenaustausch. Eigentlich meint der Redakteur nämlich: »Hast du eine halbe Stunde Zeit? Ich muss dir genau erklären, wie du deinen Artikel schreiben sollst.«
Darauf antwortet der Autor »Klar doch«, was bedeuten soll: »Red du nur. Ich schreibe meine Story so, wie ich will.«
Das konnte ich mir nicht leisten. Mein Verhältnis zu Kevin – und anderen Redakteuren – verlangte gro ßes Fingerspitzengefühl. Als freier Journalist brauchte ich ein gutes Gespür für die Wünsche der Redakteure. Wenn ich sie verärgerte, engagierten sie mich nicht mehr. Und wenn ich keine Aufträge bekam, konnte ich die Miete nicht bezahlen und mir nichts zu essen kaufen.
Kevin war vom American Health Journal, für das ich drei- bis viermal im Jahr schrieb. Die Themen interessierten mich nicht besonders, aber der Verlag zahlte gut und pünktlich.
»Wir haben eine Idee für diese Mobilfunk-Story«, sagte er. »Wir wollen den Weg der Funkwellen durch das Gehirn anhand einer Grafik veranschaulichen.«
Wenn ein Redakteur »wir« sagt, meint er »ich«.
Kevin erläuterte mir genau, wie er sich diese aufwändige, aber stark vereinfachende Illustration vorstellte. Sie sollte zeigen, wie die Funkwellen auf dem Weg vom Funkmast zum Empfänger, nämlich dem Handy am Ohr des Benutzers, durch die wichtigsten Bereiche des Gehirns wanderten.
Dann wechselte er abrupt das Thema.
»Wir brauchen den Artikel bis Freitag. Liegst du noch im Zeitplan?«
Ich warf einen Blick auf den unberührten Stapel Material, den ich bei meinen Recherchen gesammelt und auf dem Küchentisch deponiert hatte. Kevin erzählte ich, ich hätte die entsprechenden Interviews geführt und die Fachliteratur studiert. Dann bemühte ich mich, seine Erwartungen zu dämpfen. Die vorherrschende Meinung ist, dass Funkwellen das Gehirn kaum oder gar nicht beeinträchtigen. Sensationelle Enthüllungen waren daher nicht zu erwarten. Trotzdem ist die Angst vor Mobiltelefonen verständlich. Nicht nur, weil es ein beunruhigender Gedanke ist, dass Funkwellen über den Stirnlappen unseres Gehirns hereinbrechen.
Wir trauen technischen Geräten generell nicht. Deswegen gibt es auch so viele Filme mit außer Kontrolle geratenen Computern. Früher waren Kommunisten, Außerirdische und Nazis an allem schuld, heute ist es die Technik.
Vielleicht reflektiert diese Angst unsere wachsende Abhängigkeit. Headset und Handy gehören zur Standardausstattung. Millionen von Geräten tauschen permanent Daten mit Millionen anderer Geräte, die die meisten von uns noch nicht einmal reparieren, geschweige denn konstruieren könnten. Trotzdem sind wir völlig auf sie angewiesen.
»Niemand weiß, wie sich Mobilfunk auf die Gesundheit auswirkt«, sagte Kevin. »Das muss deutlich werden. Ich stelle mir zirka zweitausend Wörter vor.«
Vielleicht hätte ich an sein Mitgefühl appellieren und mir so einen Aufschub verschaffen sollen. Überall
in den Nachrichten wurde von der Explosion berichtet. Ich hätte Kevin erzählen können, dass ich um ein Haar mit in die Luft geflogen wäre.
Aber ich wusste, was er gesagt hätte. »Das ist ja furchtbar. Geht es dir gut?« Im Klartext: »Ich brauche den Artikel bis Freitag.«
Ich versuchte, mich auf mein Recherchematerial zu konzentrieren, aber die Artikel waren für Wissenschaftler geschrieben und für normale Sterbliche todlangweilig. Besonders informativ schienen sie mir auch nicht.
Außerdem lockte der Laptop.
Wenn man zu Hause arbeitet, ist Fernsehen tabu, das weiß jeder. Ganz anders sieht es mit dem Internet aus. Fernsehen wird als reine Unterhaltung und Zeitverschwendung verteufelt, während es als Bagatelldelikt durchgeht, Yahoo! News zu lesen, die Aktienkurse zu verfolgen
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