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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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»Giesing.« Ich sagte: »Das ist hier nicht mehr Giesing.«
    »Selbstverständlich!«
    Draußen war nahezu nichts zu erkennen, fette Flocken klatschten gegen die Scheiben, und wir standen in einem langen Stau, der in einem weißen Nichts endete.
    Auf unerklärlichen Wegen erreichten wir die Fasangartenstraße, und bei einer Geschwindigkeit von ungefähr fünfundzwanzig Stundenkilometern gelang es mir trotz der miserablen Sicht die Abzweigung zur Albert-Schweitzer-Straße nicht zu verpassen.
    »Jetzt links!«
    Martin riss das Lenkrad herum, der Opel drehte sich und rutschte quer über die schneebedeckte Straße. Dann stießen die Vorderräder gegen eine unsichtbare Verkehrsinsel, der Wagen ruckte, geriet in Schräglage , wechselte die Richtung und glitt auf die Bäume und Sträucher neben der Straße zu.
    »Scheiße!«, sagte Martin.
    Dem war wenig hinzuzufügen.
    »Hm«, machte ich.
    Er hielt das Lenkrad fest, eine sinnlose Aktion. Wie von einem Seil gezogen, peilte das Auto den nächstbesten Baum an. In kurzen Abständen trat Martin aufs Bremspedal, bewegte das Lenkrad sacht nach links, bremste wieder und schaffte es auf diese Weise, dass wir nur zwischen Sträuchern landeten. Der Motor starb ab. Martin lehnte sich zurück.
    »Scheißgegend«, sagte er.
    »Nicht mehr Giesing«, sagte ich.
    Die Heizung auf Höchststufe geschaltet, fuhren wir weiter. Nur wenige Autos kamen uns entgegen, und der Schneefall ließ nicht nach.
    »Wo müssen wir ab?«, fragte Martin.
    »Bussardstraße.«
    Wir fanden die Straße, und ich hielt Ausschau nach dem Falkenweg, der laut Stadtplan, den ich mir im Büro angesehen hatte, links von der Bussardstraße abzweigte.
    Stattdessen befanden wir uns in der Fasanenstraße. Wir kehrten um, in Zeitlupe, da unser Dienstwagen offenbar nicht nur keine Winterreifen, sondern zudem enorm abgefahrene Sommerreifen hatte.
    »Halt an!«, sagte ich. »Wir gehen zu Fuß.«
    Anschließend gingen wir eine Viertelstunde zu Fuß. Vorbei an Hochhäusern, merkwürdig ineinander verschachtelten, stufenartig konstruierten Bungalows mit kleinen Fenstern und Holzverkleidung, vorbei an einem Park mit kahlen Buchen, Birken, Linden und mit Nadelbäumen, an einer Grund und Hauptschule, an einem Hort, an einem asiatischen Restaurant. Und nirgendwo der Falkenweg.
    »Entschuldigung!«, rief ich einer Frau hinterher, die mit einer Sporttasche auf den Eingang eines der gedrungenen einstöckigen Häuser zueilte. Sie achtete nicht auf uns.
    »Entschuldigung. Polizei!«
    Sie schien nichts zu hören, was vielleicht an der fellbesetzten Kapuze lag, die sie über den Kopf gezogen hatte.
    Bevor sie aufsperrte, holte ich sie ein.
    »Wir suchen den Falkenweg«, sagte ich und hielt meinen blauen Dienstausweis ins Schneetreiben.
    »Der ist da hinten«, sagte die Frau und zeigte erst nach links und dann nach rechts, um die Flachbauten herum.
    »Da waren wir schon, wir haben ihn nicht gefunden«, sagte ich.
    »An der Ecke vorn ist ein kleines Schild, bei der Schule«, sagte die Frau, warf mir einen hektischen Blick zu, klopfte den Schnee von den Schuhen ab und öffnete die Haustür. »Da hinten, am besten, Sie gehen vorn über die Hauptstraße.«
    »Aber Sie haben gerade in die andere Richtung gezeigt.«
    »Über die Hauptstraße ist es wahrscheinlich leichter.« Zehn Minuten später irrten wir noch immer durchs Viertel. Als wir ein Schild sahen, auf dem »Sommerstraße« stand, war uns klar, dass wir uns verirrt hatten.
    »Tut mir Leid, den Falkenweg kenn ich nicht«, sagte eine Passantin.
    »Falkenweg? Kenn ich! Aber wo ist der jetzt? Der ist schon irgendwo hier…«
    »Ja, bei der Schule, die Schule ist… So ein Schnee plötzlich… die Schule, da müssen Sie da lang…«
    »Da gibts ein kleines Schild, diese Richtung, das ist eine Einbahnstraße, da gehen Sie rein, Elsterstraße, glaub ich…«
    Elsterstraße. Wir fanden sie, balancierten über den glitschigen Schnee und erreichten den Falkenweg, ohne zu begreifen, wieso wir ihn nicht schon längst gefunden hatten. Er verlief entlang einer langen Reihe identisch aussehender, ineinander übergehender einstöckiger Häuser, eine Bauweise, mit der sich ein Architekt in dieser Gegend anscheinend eine goldene Nase verdient hatte.
    Hinter fast allen Fenstern, von denen manche vergittert waren, brannte Licht, aber ich hatte den Eindruck, dass dort auch im Sommer am helllichten Tag welches brennen musste, weil durch die kleinen rechteckigen Fenster wenig Licht einfiel. An einigen Türen

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