Süden und das Lächeln des Windes
hing ein Adventskranz, an einigen Fenstern leuchteten Weihnachtssterne und Girlanden. Das Haus Nummer siebenunddreißig grenzte an eine Hecke, es war das letzte oder erste Haus der Reihe, und ich warf einen Blick auf die Straße, die auf der anderen Seite vorüberführte. Gegenüber befanden sich die Gebäude der katholischen Pfarrgemeinde und daneben das asiatische Restaurant, vor dem wir schon gestanden hatten. Verwirrendes Unterhaching.
»Da sind Sie ja endlich!«, sagte Susanne Berghoff.
Wir gingen durch einen schmalen Flur mit ordentlich aufgereihten Kinderschuhen unter Mänteln und Jacken an einer Garderobenleiste. Es roch nach Parfüm, und auf dem rechteckigen Holztisch im Wohnzimmer standen eine Rotweinflasche und drei Gläser. Sonst war der Tisch leer, abgesehen von einem Zettel, der auf der Holzplatte lag.
»Bitte setzen Sie sich!«
Martin setzte sich auf einen der drei Holzstühle, die sowohl ein Sitz als auch ein Rückenkissen hatten.
»Ich stehe lieber«, sagte ich.
Ich strich die nassen Haare nach hinten und wischte mir übers Gesicht.
»Das ist da draußen ja schlimm!«, sagte Susanne Berghoff. Sie trug ein dunkles Hauskleid, das ihren Körper sehr mager erscheinen ließ, und dicke Wollsocken, keine Schuhe. Das Zimmer und der Flur waren mit Teppichen ausgelegt.
Sie brachte uns zwei Handtücher, und wir trockneten uns ein wenig ab.
»Das ist sehr freundlich, dass Sie gekommen sind, ich bin sehr froh.« Sie schenkte Wein in die Gläser und ihre Hand zitterte dabei.
»Was ist mit Timo, Frau Berghoff?«, fragte ich. Sie reichte uns die Gläser.
»Zum Wohl!« Sie nippte an ihrem Glas und stellte es sofort auf den Tisch zurück.
Obwohl es warm im Zimmer war, fing ich an zu frieren. Vielleicht mehr aus Ungeduld als wegen der nassen Schlieren, die über meinen Rücken liefen.
»Er hat mir einen Brief geschrieben«, sagte Susanne. Ich stellte mein Glas auf den Tisch und deutete auf den Zettel. Sie nickte. Ich fasste das DIN-A5-Blatt an einer Ecke an und drehte es herum. Der Text war knapp und in ungelenker Handschrift abgefasst. Liebe Mama, mir gehts gut, mach dir keine Sorgen, ich komm schon mal wieder, dein Timo.
»Fehlerfrei«, sagte ich.
Sie schien nicht zu begreifen, was ich meinte. Ich legte den Brief vor Martin auf den Tisch.
»Ihr Sohn ist gut in Orthografie«, sagte ich. Wie schon im Hotel rieb sie die Finger aneinander. Regungslos stand sie mir gegenüber.
»Hat er das geschrieben?«, fragte ich.
»Ja… ja…«
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich«, sagte sie. »Ich bin sicher, natürlich. Wer denn sonst? Wer soll das denn sonst geschrieben haben?«
»Ist das Timos Handschrift?«, fragte Martin, der den Zettel nicht berührt hatte.
»Ja doch!«
Sie wollte zum Weinglas greifen, ließ es aber sein.
»Wie haben Sie den Brief bekommen?«, fragte ich.
»Er steckte in der Tür, als ich nach Haus gekommen bin, in der Tür, in der Haustür, zusammengefaltet, deswegen… deswegen ist er so zerknittert, in der Tür hat er gesteckt…«
»Zeigen Sie’s mir«, sagte ich. Sie zögerte. Martin trank sein Glas leer.
»Hier, genau hier«, sagte Susanne Berghoff, nachdem wir zur Haustür gegangen waren. Sie zeigte auf eine Stelle unterhalb des Schlosses.
»Sind Sie sicher?«
»Warum fragen Sie das dauernd?«, sagte sie laut.
»Wann sind Sie nach Hause gekommen?«
»Ich will wissen, warum Sie denken, ich lüg die ganze Zeit, warum denken Sie das?«
Ich sagte: »Ich bin ein misstrauischer Polizist.«
Sie sah mich an und an mir vorbei zum Falkenweg, und der Wind wehte uns Flocken ins Gesicht.
»Ich hab Sie mir ganz anders vorgestellt.«
»Das haben Sie schon gesagt.«
»Und es stimmt auch.«
»Wann sind Sie nach Hause gekommen, Frau Berghoff?«
»Um sieben, kurz nach sieben«, sagte sie. »Ich habs nicht mehr ausgehalten im Hotel, ich hab den Herrn Gebsattl angerufen, der eigentlich Urlaub hat, und hab ihm gesagt, er muss kommen, er arbeitet seit fünfzehn Jahren als Portier bei uns, er ist oft krank, deswegen hab ich noch zwei andere Mitarbeiter an der Rezeption… Er ist gleich gekommen, so ist er, und ich bin gleich gefahren…«
»Kurz nach sieben«, wiederholte ich. »Und der Zettel steckte genau hier.«
»Ja! Ja! Mir ist kalt.«
»Mir auch«, sagte ich.
»Bitte?«, sagte sie und sah mich zum wiederholten Mal verwirrt an.
Wenn ein Erwachsener den Zettel hinterlegt hätte, hätte er ihn an einer anderen Stelle deponiert, höher, oberhalb des Schlosses. Es musste ein Kind
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