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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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gewesen sein. Was aber bedeutete das? Hatte sich Timo hierher geschlichen? Er hätte riskiert gesehen zu werden, zudem musste er damit rechnen, dass seine Mutter zu Hause geblieben war, um auf ihn zu warten. Trotzdem war diese Möglichkeit nicht auszuschließen. Vielleicht hatte ihn jemand aus der Nachbarschaft gesehen und sich nichts dabei gedacht, denn niemand wusste, was geschehen war.
    Falsch. Diese Häuser waren derart ineinander verschraubt, dass jeder Nachbar mehr mitbekam, als ihm angenehm sein konnte. Wenn Timo den Brief in den Türspalt gesteckt hatte, gab es einen Zeugen, da war ich mir sicher.
    Und wenn es Timo nicht selbst gewesen war?
    »Haben Sie mit Ihrem Mann telefoniert?«, fragte ich. Sie blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
    »Frau Berghoff?« Sie sah mich an.
    »Was ist?«
    Sie schlug die Hände vors Gesicht und presste sie so fest dagegen, dass das Blut aus ihren Fingerkuppen wich. Sie röchelte und hörte nicht mehr damit auf, als wäre sie kurz vorm Ersticken. Ihr Körper zitterte, zwischen ihren Fingern rannen Tränen und tropften vom Kinn auf den Boden.

5
    W ährend Martin versuchte, mit Susanne Berghoff, die sich nach einem zweiten Glas Wein langsam beruhigte, eine erste vorläufige Vermisstenanzeige aufzusetzen, mit Angaben über Aussehen, Kleidung und bestimmte Eigenschaften des Jungen, ging ich im nachlassenden Schneetreiben von Tür zu Tür. Auf einigen Terrassen standen Tonkrüge mit vertrockneten Zweigen oder Latschen, an denen goldenes Lametta hing. An manchen Fenstern brannten elektrische Kerzen, die warmes Licht simulierten.
    »Der ist ein kleiner Rumtreiber«, sagte Herr Färber. »Ich hab ihn schon länger nicht mehr gesehen, ich bin aber auch viel weg, komm erst abends heim.«
    »Heute haben Sie ihn also nicht gesehen?«
    »Nein, ich bin grad erst gekommen.«
    »Und Ihre Frau?«
    Herr Färber ließ mich an der Tür stehen. Ich hatte den Kragen meiner Lederjacke hochgeschlagen und mir alle paar Meter den Schnee von den Schuhen geklopft. Vermutlich würde ich morgen so krank sein wie Sonja Feyerabend.
    »Sie hat ihn auch nicht gesehen«, sagte Herr Färber, dessen weinrote Weste selbst gestrickt wirkte.
    Auf der nächsten Terrasse standen mehrere Gartenzwerge, einer schob einen Schubkarren, einer hielt einen Rechen in der Hand.
    »Polizei?«, fragte die Frau mit der weißen Schürze und der Brille mit dem verbogenen Gestell.
    »Haben Sie Timo Berghoff heute schon gesehen?« , fragte ich.
    »Nein, ist was passiert?«
    »Das wissen wir nicht.«
    »Das ist ein Rumtreiber, ein ungezogener Rumtreiber. Er ist nicht der Einzige.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Die Kinder hier, die sind so…«
    »Darf ich Ihren Namen erfahren?« An der Tür hing kein Schild.
    »Gilda Redlich. Mein Mann ist nicht da.«
    »Ich spreche auch gern mit Ihnen.«
    »Kann ich den Ausweis noch mal sehen?« Sie hielt ihn sich nah vor die Brille. »In Ordnung. Wollen Sie reinkommen?«
    Wenn Sie gut geheizt haben, sagte ich nicht. Ich sagte:
    »Danke.«
    Das Wohnzimmer sah genauso aus wie das der Familie Berghoff, zumindest kam es mir so vor. Holztisch, Holzstühle, Holzbank, Glasschrank, kleine Landschaftsbilder an der Wand, Teppichböden, Ruhe und Ordnung.
    »Setzen Sie sich!«
    »Ich stehe lieber«, sagte ich.
    Gilda Redlich nahm die Schürze ab, ließ sie auf einen Stuhl fallen, betrachtete mich und verzog den Mund.
    »Ja?«, sagte ich.
    »Nichts«, sagte sie. »Ich schau Sie an.«
    »Das sehe ich.«
    Sie schaute mich weiter an. Ich schätzte sie auf Ende vierzig, sie hatte dunkelbraune halblange Haare, die ebenso strähnig herunterhingen wie meine, und breite Hüften, die besonders auffielen, weil sie einen Rock trug , der ihr deutlich zu eng war. Darüber hatte sie eine grüne Bluse an, die über den Rock fiel und nur unwesentlich zugeknöpft war, sodass es zu spät war, meinen Blick an ihrem weißen BH vorbeizulenken.
    »Übles Wetter draußen«, sagte ich in einem Kraftakt von Zerstreuung.
    »Winter halt«, sagte sie.
    Ich betrachtete die Leere des Tisches.
    »Möchten Sie was trinken?«, fragte Gilda Redlich.
    »Unbedingt.«
    »Bier?«
    »Ja.«
    Sie ging in die Küche, ich wischte mir übers Gesicht und zog den Reißverschluss meiner Jacke auf.
    Wir tranken aus schlanken Gläsern und setzten uns an den Tisch. In der Küche hatte sie zwei Knöpfe an ihrer Bluse geschlossen.
    »Haben Sie Timo heute schon gesehen?«, fragte ich zum ungefähr siebten Mal in der vergangenen halben Stunde.
    Bisher hatte ihn

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