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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Wohnung, niemand kann ihn daran hindern .
    Er ist erwachsen, er ist frei in allen seinen Entscheidungen.«
    »Ist er nicht«, sagte Mathilda und stellte das Glas hin .
    »Bitte?«, fragte Sonja.
    Weder sie noch ich hatten, seit wir in diesem Zimmer waren, auch nur ein Wort notiert.
    »Frei in seinen Entscheidungen … Sind Sie das?« Mathilda sah mich an .
    »Nein«, sagte ich.
    »Na also«, sagte sie. »Ich auch nicht. Und er auch nicht. Er besonders nicht. Er war auf andere angewiesen, immer, zum Glück hatte er Andrea, die hat das Geld verdient und ihn sein lassen …«
    »Wer ist Andrea?«, fragte ich. Von ihr stand nichts in dem Bericht.
    »Seine Freundin, sie haben zusammengewohnt, jetzt nicht mehr, sie hat ihn rausgeschmissen, jetzt ist er von jemand anderem abhängig …«
    »Von wem?«, fragte Sonja und klopfte mit den Blättern nervös auf ihre Hand .
    »Weiß ich nicht.«
    »Frau Ross«, sagte Sonja und ging auf sie zu. »Sie haben heute Geburtstag und Sie sorgen sich um Ihren Bruder .
    Gut. Wir helfen Ihnen. Wir nehmen Sie nach München mit, dann lassen wir die Wohnung Ihres Bruders öffnen und sehen nach, ob er da ist. Sind Sie damit einverstanden?«
    Sie antwortete nicht.
    Ich sagte: »Wir wollen Ihnen nichts vormachen, Frau Ross, wir können Ihre Vermisstenanzeige noch mal aufnehmen und sie in unseren Computer eingeben, damit alle Polizeiinspektionen Bescheid wissen. Aber da passiert nichts weiter. Weil wir nichts Konkretes in der Hand haben, weil wir eigentlich der Meinung sind, Ihr Bruder taucht morgen oder übermorgen oder in ein paar Tagen wieder auf. Und was sollen wir an konkreten Angaben in die Anzeige reinschreiben? Frau Ross …«
    Sie hatte den Kopf gesenkt. Ratlos stand Sonja vor ihr .
    Und ich war mir selbst nicht mehr sicher, ob unser Aufwand gerechtfertigt war. Die Frau war betrunken, sie war in einer miesen Verfassung, vermutlich war ihr Bruder der Einzige, der sie an ihrem Geburtstag anrief, sie hatte niemanden, der sich um sie kümmerte, offenbar hatte sie niemandem von ihrem Besuch bei der Polizei erzählt, nichts in dieser Wohnung deutete darauf hin, dass sie heute Vormittag Besuch bekommen hatte. So wie es aussah, hatte sie einen freien Tag, sie trank mit sich selbst und wartete auf den Anruf ihres Bruders, seit sieben Uhr morgens. Vielleicht wollte sie bloß Aufmerksamkeit erregen, vielleicht wollte sie bloß mit jemandem sprechen, eine andere Stimme hören außer ihrer eigenen. Und vielleicht hatte sie ein Recht dazu an ihrem Geburtstag .
    Trotzdem musste ich ihr erklären, weshalb wir zögerten und womöglich den Eindruck erweckten, wir würden an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln.
    »Wir können keine genauen Angaben zur Person machen«, sagte ich und drehte den Stuhl, damit ich mir nicht länger den Hals verrenken musste. Aber aufstehen wollte ich nicht. »Sie haben Ihren Bruder vor einem Jahr zuletzt gesehen, wir wissen nicht, ob sich sein Äußeres verändert hat. Wir wissen nicht, was er, sollte er wirklich verschwunden sein, anhat oder bei sich hat, wir wissen nichts über die Umstände seines Verschwindens, nichts über sein mögliches Ziel und vor allem haben wir keine Ahnung, seit wann genau er verschwunden ist. Bevor wir nicht in seiner Wohnung waren und mit Nachbarn und Freunden gesprochen haben, hat eine Fahndung keinen Sinn, Frau Ross.«
    »Es ist kein Problem, die Wohnung aufzubrechen«, sagte Sonja. »Nichts wird dabei beschädigt, nicht die Tür und nicht das Schloss.«
    »Wozu soll man die Wohnung aufbrechen?«, sagte Mathilda Ross. »Ich hab einen Schlüssel.«

2
    B evor wir das Dorf verließen, bat sie uns, am Friedhof anzuhalten.
    »Ich wollt vorhin grad los«, sagte sie .
    An der Mauer, die den Friedhof zur Straße hin abgrenzte, befand sich das Grab, das Mathilda Ross aufsuchte. Auf dem Stein stand der Name Ludwig Ross. Er war fünfunddreißig Jahre alt geworden.
    Statt Blumen bedeckten Tannenzweige die Erde, sorgfältig aufeinander gelegt. Grabstein und Umrandung, beides aus Marmor, wirkten frisch geputzt, und in einer grünen Plastikvase steckten fünf dunkelrote Rosen, von denen zwei verwelkt waren.
    Mathilda bekreuzigte sich und versank in Schweigen .
    Ich ließ sie und Sonja am Grab zurück und ging durch die Reihen der Gräber. Unter meinen Schuhen knirschte der Kies. Außer mir waren noch zwei Frauen unterwegs, eingehüllt in dicke Mäntel, eine von ihnen hatte grüne Gummihandschuhe an und einen kleinen metallenen Rechen in der Hand. Jedes einzelne Grab

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