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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Mithilfe. Als erledigt gilt ein Fall – nach unseren »Richtlinien für die Führung polizeilicher personenbezogener Sammlungen« – frühestens dreißig Jahre nach der Vermisstenmeldung.
    Als wir an jenem siebzehnten November, Sonjas schwarzem Freitag, das Polizeirevier am Falkenweg in Münzing betraten, waren wir von der Lösung des Falles deines Vaters unendlich weit entfernt. Und beim Verlassen des Dienstgebäudes nach einer Stunde kam es mir vor, als hätte sich die Entfernung vergrößert.
     
    Lange saßen wir im Wagen, bevor wir uns auf den Weg zu dem Haus machten, in dem Mathilda Ross wohnte .
     
    Das Haus lag auf dem Grünerberg, einem Hügel am Rand des Dorfes mit einer schmucklosen Siedlung aus den sechziger Jahren, lang gezogene Blocks, gleichförmige Fassaden, leere Blumenkästen vor den Fenstern, Wäschestangen auf grauen Wiesenflächen. Bist du je dort gewesen?
    Ich dachte an Polizeiobermeisterin Susanne Berkel, die nahezu ununterbrochen geredet und erklärt hatte, sie sei vollkommen sicher, dass deine Tante die Wahrheit gesagt habe und wir deinen Vater unbedingt finden müssten, bevor er sich das Leben nehme.
    »Warum sind Sie sich da so sicher?«, hatte Sonja gefragt. Und Susanne Berkel hatte fast geschrien: »Weil ich das spüre!«
    Hinter den beschlagenen Scheiben des Autos verschwand die Umgebung.
    Sonja saß auf dem Fahrersitz, ich hinten, wie immer, und wir schwiegen.
    Nach einigen Minuten sagte Sonja: »Sie weiß etwas, das wir nicht wissen.«
    Ich sagte: »Vielleicht.«
    Dann warf Sonja einen Blick auf die Klarsichtfolie auf dem Beifahrersitz. Ich hatte die drei Seiten der vorläufigen Vermisstenanzeige und meine Notizen darin zusammengeheftet.
    »Sollen wir klären lassen, ob es Verbindungen zwischen der Kollegin und der Familie des Vermissten gibt?«
    »Nein«, sagte ich.
    Wieder war es still. Dann wandte Sonja den Kopf zu mir.
    »Warum nicht?«
    »Zu viel Aufwand«, sagte ich. Die Antwort brachte sie zum Lächeln. Kurz vor Mittag ihr erstes Lächeln. Und ich bildete mir ein, der Rest ihres Gesichts wunderte sich darüber, jedenfalls schien ihr Blick Irritation auszudrücken.
    »Was denken Sie gerade?«, fragte sie. Ich sagte: »Ich rätsele über Ihre grünen Augen.«
    »Was gibts da zu rätseln?«
    »Das ist ein Geheimnis«, sagte ich und öffnete die hintere Wagentür.
    Wir gingen zum Haus. Hinter den Wohnblocks stieg der Hügel weiter an, dicht bepflanzt mit Nadelbäumen, die im grauen Licht dunkel und abweisend wirkten. An einigen Fenstern sah ich ein Gesicht, ältere Frauen, die uns beobachteten. An der Wand neben der Tür, an der wir klingelten, lehnte ein Mountainbike; das Hinterrad fehlte .
    »Wer ist da?«, hörten wir eine Stimme in der Sprechanlage.
    »Kriminalpolizei, mein Name ist Sonja Feyerabend. Sind Sie Frau Ross?«
    Sie empfing uns in Mantel und Stiefeln .
    »Ich wollte grade gehen«, sagte sie. Wir standen nicht direkt vor ihr, aber ihre Fahne war unüberriechbar.
    »Wir würden gern mit Ihnen sprechen«, sagte Sonja . »Oder hat sich Ihr Bruder in der Zwischenzeit gemeldet?«
    »Nein«, sagte sie sehr leise, blickte zu Boden und machte einen Schritt zurück in die Wohnung .
    Wir folgten ihr. Sie schloss die Tür, und wir standen zu dritt im engen Flur.
    Mathilda Ross war neununddreißig Jahre alt, sie hatte halblange blonde Haare und ein Gesicht, das vielleicht vom Trinken aufgedunsen war, vielleicht von der Einnahme starker Tabletten, vielleicht von Verzweiflung. Sie war nicht dick, aber als sie ihren Wollmantel auszog, der ihr bis zu den Knien reichte, kam ein unförmiger Körper zum Vorschein, wie der von jemandem, der vor langer Zeit aufgehört hatte, auf sich zu achten. Sie hängte den Mantel an den Haken einer Leiste, an der noch andere Mäntel und Jacken hingen, alle in Grau- und Brauntönen. Sie drehte sich wieder zu uns um und sah uns reglos an .
    Mir gefiel, dass es nach Tannennadeln und Walderde roch. Wahrscheinlich strömten die Jacken und Bergschuhe, die neben anderen Schuhen auf Zeitungspapier unter den Kleidungsstücken standen, diesen Geruch aus .
    »Dürfen wir uns setzen?«, fragte Sonja.
    »Ja«, sagte Frau Ross sofort, ebenso leise wie zuvor .
    Im Wohnzimmer schaltete sie das Licht an. Die Wohnung lag im Parterre und die Zimmerdecken waren niedrig und die Fenster schmal.
    Meinen kleinen karierten Block in der Hand, wartete ich, bis Mathilda Ross sich uns gegenüber hingesetzt hatte, auf die braune Couch, genau in die Mitte .
    Sonja legte ihren

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