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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Stirn gegen das Glas, was ein dumpfes, durchaus unheilvolles Geräusch verursachte. Aber er fiel nicht. Aufrecht stellte er sich neben Süden, legte die Hand auf dessen Schulter und sagte: »Gegrüßet seist du, Maria.« Süden sagte: »Servus«, machte einen Schritt, und der Mann sackte zu Boden. Es lag kein Schnee, er plumpste auf den Asphalt und blieb liegen. Die anderen überlegten eine Weile, was zu tun sei, dann packten Süden und Heuer den Mann unter den Armen und wuchteten ihn in die Höhe. In aller Ruhe entknotete er seine Blicke, schaute die Wirtin an und sagte: »Komm mit zum Schnackseln.« Das war der Moment, als Süden und Heuer sich verabschiedeten, was mehrere Minuten in Anspruch nahm, weil die Wirtin jeder von ihnen massiv umarmte und beküsste und beflüsterte. Später fanden Süden und Heuer noch Asyl in der Fraunhofer Schoppenstube, die damals gerade eine gastronomische Krise durchmachte und an jenem Abend bis auf einen langhaarigen Ex-Lehrer leer war.
    Das wäre vielleicht morgen ein Ziel, dachte Süden am Fenster der Detektei. Einen Moment lehnte er seine Stirn an den Vorhang, ohne ihn an die Scheibe zu drücken, dachte noch einmal an jenen Abend im Stüberl und dann an seinen Freund, der tot war.

[home]
    22
    A lter oder neuer Teil?«, fragte der Taxifahrer an der Kreuzung zur Fürstenrieder Straße.
    »Alter Teil«, sagte Süden.
    Beim Aussteigen fiel ihm ein, dass er schon wieder vergessen hatte, eine Kerze mitzunehmen. Das passierte ihm fast jedes Mal, wenn er seinen Freund besuchte. Einmal hatte er sich dermaßen darüber geärgert, dass er über die Straße gegangen und in der Gaststätte Waldfrieden eingekehrt war, wo er trotzig drei Helle trank. Anschließend ein viertes als Ersatz für die Kerze.
    Einen Tag vor Heiligabend wollte er sich nicht so wichtig nehmen. Er ging durch die Reihen der geschmückten Gräber des Waldfriedhofs. Eine Krähe schrie. Es roch nach Schnee und nasser Erde und Tannen. Er sog die feuchte, kühle Luft ein, die durch ihn hindurchströmte wie vollkommener Atem. Vor der letzten Ruhestätte der Kolonialwarenhändlerswitwe Krescenzia Wohlgemuth verneigte er sich aus Gewohnheit, dann machte er zwei Schritte nach links. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und verharrte in Stille.
    Er hörte das vertraute heisere Zittern der Stimme, den Salem-ohne-Gesang seines ältesten Freundes. Martin Heuers Name war auf dem kleinen grauen Grabstein mit der Schneehaube kaum noch zu lesen. Der Rosenstrauch sah verdorrt aus, kein Wunder um die Jahreszeit. Aus der Entfernung drang das Rauschen des Verkehrs von der Garmischer Autobahn herüber. Auf einem Ast hoch über dem Grab schrie eine Krähe, in Südens Ohren klang das Rascheln ihres Gefieders, als blättere jemand in einem Buch.
    »Du hättest das Mädchen gleich durchschaut«, sagte Süden.
    Du hast sie auch durchschaut, du wolltest nur noch mehr sehen.
    »Was denn?«
    Das, was der Junge nicht sehen sollte, seine skelettierten Lebensbewohner. Außerdem wolltest du unterwegs sein.
    Süden schwieg.
    Früher hast du mehr geschwiegen.
    »Vielleicht wird man gesprächiger mit dem Alter.«
    O Gott.
    Die Krähe über ihm flatterte mit wildem Flügelschlag davon und schrie wieder, und der Wind trug ihr heiseres Krächzen über die verschneiten Gräberreihen.
    Geh jetzt. Und komm wieder, wenn du den nächsten Auftrag ausgeführt hast. Hör auf, dir Sachen einzureden. Folge deiner Intuition, wie früher, wie in deiner guten Zeit.
    Süden stand da und überlegte, wann die Zeit gut zu ihm gewesen oder wann er gut zur Zeit gewesen war.
    Woher der Mann im grauen Mantel auf einmal gekommen war, blieb ein Rätsel. Er schaute Süden von der Seite an, grinste und rieb sich die schuppigen Hände.
    »Vermissen ist sauhart«, sagte der Mann. »Kenn mich aus. Hört nicht auf. Eddi mein Name.«
    »Süden.«
    »Weihnachten ist schwer. Ist wahrscheinlich nicht der Einzige, den Sie vermissen.«
    »Nein.«
    Eddi hielt den Kragen seines Mantels zu, er trug keinen Schal. »Ich war auch mal vermisst, können Sie sich das vorstellen?«
    »Ja«, sagte Süden. »Ich war auf der Vermisstenstelle.«
    »Fundsachen?«
    »Kripo.«
    »Dann passt’s. Ich hab’s nicht mehr ausgehalten mit der Alten, da bin ich weg, direkt nach dem Abendessen. Wir haben gestritten, wie immer, da hab ich zur Elvira gesagt, ich geh mal schnell Zigaretten holen. Zigaretten holen! Kommt Ihnen das bekannt vor?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht?«
    »Ich habe nie einen Mann gesucht,

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