Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)
erregt als die der meisten anderen Männer.
»Nein«, sagte sie.
»Stell dich nicht an, Jenny.« Er schwitzte. Dann ließ er ihren Kopf los. Und stemmte die Hände in die Hüften. Gleichzeitig stieß er weiter zu.
»Du sollst … du sollst nicht Jenny zu mir sagen …«
»Komm jetzt, warte …«
Er glitt aus ihr heraus. Und streifte das Kondom ab.
»Hör auf«, schrie sie. Und drehte sich zu ihm um. »Ich hab nein gesagt, verflucht.«
»Dann blas mir einen.«
»Nein.«
Sie kauerte vor ihm. Nass und fröstelnd. Und fühlte sich dreckig. Und verlogen.
»Soll ich den Gürtel holen?« Er hatte eine mächtige Erektion. »Komm«, sagte er, »komm, sonst hol ich den Gürtel, und dann jaulst du wieder, so wie früher, meine kleine …«
»Früher ist vorbei«, brüllte sie. Sprang von der Couch. Griff nach ihren Sachen, die verstreut auf dem Parkettboden lagen. Rannte ins Bad. Und sperrte ab.
»Scheiße.« Rink ging in die Gästetoilette und stellte sich vors Waschbecken.
Als er ins Büro zurückkam, stand Ariane bekleidet am Fenster.
Sie sagten beide nichts.
Er zog sich an. Seine Flanellhose. Seinen Kaschmirpullover. Seine Slipper. Und er steckte sich eine Zigarette an.
»Ich will, dass du mich als Frau begehrst«, sagte Ariane.
Er rauchte. Leckte sich die Lippen. Stippte die Asche in den chinesischen Porzellanaschenbecher auf dem Schreibtisch. Sah auf die Uhr. Dann drückte er die Zigarette aus. Und ging zu Ariane. Für einen Moment fürchtete sie, er würde zuschlagen. Aber er stupste ihr lediglich mit dem Zeigefinger über die Nase.
»Was redest du da, Jenny? Ich bin verheiratet. Ich hab eine Frau. Ich will eine Nutte.«
Sie sah sein Lächeln. Und wusste, er meinte es ernst. Es war ein aufrichtiges Lächeln. Es war das Lächeln eines Freiers. Eines spendablen, gut riechenden, freundlichen Freiers.
»Entschuldige bitte«, sagte sie. Sie umklammerte ihre kleine schwarze Handtasche. Und blickte zur Tür. Zeit zu gehen. Schnell zu gehen.
»Trink noch was«, sagte Rink. »Geht’s dir nicht gut?«
Sie schüttelte den Kopf. Erschöpft. Unsagbar erschöpft.
»Vergiss nicht, den Gummi wegzuschmeißen«, sagte sie.
Er lächelte wieder. »Schön, dass du wieder mal angerufen hast. Und clever, dass du es heute getan hast. Du hast also nichts vergessen. Einen Campari mit Gin?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. Ihr war schlecht. Ihr war kalt. »Ich muss los.«
»Was ist passiert, Jenny?«
Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. Warme, zarte Hände. Die sie kannte. An die sie sich vor einer Stunde sofort erinnert hatte. Warum war sie bloß hergekommen? Warum hatte sie ihn angerufen?
»Ich heiß nicht Jenny«, sagte sie.
»Denk ich mir doch.« Es klang beinah fröhlich.
»Auf Wiedersehen, Hanno.«
»Wie viel …« Er lächelte. Strich ihr über den Kopf. Wartete. Die Hand auf ihr. Eine warme Hand. Eine ruhige Hand.
Sie wollte kein Geld. Deswegen war sie nicht hier. Warum war sie hier? War sie je wegen etwas anderem hier gewesen?
Sie brauchte kein Geld.
Falsch.
»So viel du willst …«
Sie wollte dieses Geld jetzt nicht.
Dann war sie auf dem Weg in Richtung Isar.
Er hatte ihr zweihundert gegeben. Weniger als früher. So wenig war sie nie wert gewesen.
Sie überquerte die dreispurige Straße und den angrenzenden Grünstreifen. Und schaute hinunter auf den grauen Fluss. Wenn Hochwasser wäre, würde sie warten, bis es zu ihr hochstieg und sie mitriss in den Fluten. Sie würde sich auf den Rücken drehen. Damit sie den Himmel sah, wenn sie ertrank.
Aufhören! Sie war doch weg vom Dreck. Weg vom Dreck.
Ein sattes Rauschen drang zu ihr herauf. Und die nassen kahlen Bäume rochen nach Rinde.
»Jenny! Jenny!«, rief ein Mann.
Sie sah ein kleines Mädchen am Straßenrand. Sein Vater rief aufgeregt nach ihm, weil es nicht auf die heranpreschenden Autos achtete. Die Kleine in ihrem grünen Cape machte kehrt. Und rannte den Bürgersteig entlang. Und ihr Vater hinterher.
Wie Striemen auf der Haut war dieser Name das Zeichen einer Zeit, die es nie mehr geben durfte.
Und trotzdem hatte Ariane Jennerfurt ihren alten Kalender hervorgekramt. Und bestimmte Nummern gewählt. Und getan, was sie getan hatte, als sie noch Jenny hieß.
Sie klettert über das Geländer. Lässt ihre kleine schwarze Ledertasche ins Gras fallen. Streift den glänzenden Mantel ab. Und springt in die Tiefe. Und ist erlöst.
»Nein«, sagte sie laut. Und verscheuchte die Vorstellung. »Nein.«
Wenn sie ihre Kladde nicht mitnehmen
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