Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
verlassen hinter ihm. Soll er zurückgehen? Und nach der Frau suchen? Er ist ratlos. Er bleibt stehen. Dann geht er los. Zurück in die Stadt. Und er geht auf ein bestimmtes Haus zu. Als wisse er genau, wo er hinmuss. Er läuft schnell, als habe er einen Auftrag und ist zu spät dran. Er öffnet die Haustür. Und nimmt die Treppe in den Keller. Geräusche sind zu hören. Ein Scharren. Ein Klopfen. Aus einer Tür am Ende des seltsam breiten Flurs fällt schäbiges Licht. Und dann stößt er die Tür auf. Da hängt ein Mann an einem Seil.
    Starr hängt der Mann an einem blauen Seil. Sein Genick ist gebrochen. Das ist auf den ersten Blick zu erkennen. Seine Schuhe schleifen über den Steinboden. Das ist merkwürdig. Denn der Tote bewegt sich nicht. Und dennoch ist ein Schleifen zu hören. In der Ecke steht eine Frau mit einer Gardinenstange aus Messing. Mit der klopft sie gegen die Wand. Er wundert sich sehr. Seine Mutter ist schon lange tot. Was macht sie hier? Sie sieht schön aus. Wunderschön. Wie auf den Fotos als Schauspielerin. Ihm kommt es so vor, als würde das schäbige Licht sie aussparen. Sie trägt ein Sommerkleid mit einem gelben Gürtel. Sehr lässig, denkt er. Und dreht sich um.
    Wo die Tür war, ist jetzt ein Fenster. Es ist offen. Er geht hin. Und sieht hinaus. Draußen ist Markt. Händler bieten Obst, Gemüse, Schuhe und Kleider an. Viele Frauen sieht er. Kaum Männer. Musik spielt. Trommeln. Eine Laute. Es macht ihm Freude zuzuhören. Gerade will er über die Fensterbrüstung klettern, da wacht er auf.
    Daran erinnerte er sich auf der Plastikbank auf dem U-Bahnsteig. Und jetzt in der Badewanne, in der er lag. Ohne Wasser. Nackt. Mit dem Indianermesser in der Hand. In einer Lache aus Blut.

    Sie merkten beide, dass auch Iris Frost auf eine Erklärung wartete. Doch Ariane Jennerfurt saß nur da. Und sagte immer wieder: »Entschuldigung, ich muss mich entschuldigen. Entschuldigung.«
    Für Tabor Süden und Sonja Feyerabend war dies keine ungewöhnliche Situation. Die meisten Vermisstenfälle endeten auf diese Weise. Einer war gegangen und zurückgekommen. Anfangs gerieten die Angehörigen in Panik. Schalteten die Polizei ein. Versanken in Selbstvorwürfen. Telefonierten unaufhörlich und schämten sich und wussten nicht, wofür. Dann, nach Tagen, manchmal Wochen, klingelte es an der Tür. In diesem Moment, wenn die Tür aufging und das vertraute Gesicht erschien, waren die Wartenden noch fassungsloser. Als würde der Vermisste durch seine unerwartete Rückkehr die Not der anderen noch verstärken. Sogar verhöhnen. Indem er sich entschuldigte und um Mitgefühl bat.
    Ariane Jennerfurt bat um nichts. Nachdem Iris ihr erzählt hatte, dass die Polizei sie suchte, rief sie im Dezernat an. Um den Abschlussbericht schreiben zu können, fuhren Süden und Sonja zu ihr. Und das Erste, was sie zu ihnen sagte, war: »Entschuldigung.«
    Sie erklärte nichts. Iris Frost sah sie starr vor Erwartung an. Ariane hob die Schulter.
    »Warum haben Sie den Spiegel abgehängt?«, fragte Süden. Sie standen im Flur. Und verabschiedeten sich.
    Eine winzige Bewegung ihrer Hände verriet Süden ihre Überraschung. Und sie brauchte zu lang für eine Antwort.
    »Ich muss ihn putzen.«
    Iris schloss die Tür. Und Ariane schlang die Arme um ihre Freundin.
    »Sie hat uns alles verschwiegen«, sagte Sonja im Auto und ließ den Motor an.
    Süden saß auf seinem Platz auf der Rückbank, in die Ecke gezwängt.
    »Fall gelöst«, sagte er.
    »Warum hast du sie nicht weiter befragt? Warum hast du so schnell aufgegeben?«
    »Ein andermal.«
    »Glaubst du, du wirst sie wiedersehen?«, fragte Sonja.
    Süden strich ihr mit dem Zeigefinger über den Nacken.

    Not a word of goodbye, not even a note,
    she gone with the man in the long black coat …

    Den Minirecorder hatte Niklas Schilff aufs Fensterbrett gestellt. Und er hörte der rauhen Stimme zu. Und ritzte sich mit dem Messer in den Bauch.
    Das machte er nicht zum ersten Mal. Diesmal jedoch wollte er nicht aufhören, wenn die Schmerzen unerträglich wurden. Der Polizist hatte recht. Er war ein Lügner. Ich bin ein Lügner und ich glaub meine Lügen nicht mehr. Ich kann nicht verstehen, wie es so weit gekommen ist.
    Dann dachte er an den Traum. Den er nicht wie einen Alptraum empfand. Eher wie eine kuriose Geschichte, deren Personen er kannte und von denen er so weit entfernt war wie Amerika vom europäischen Kontinent.
    Was für eine Lüge schon wieder.

    Preacher was talkin’, there’s a

Weitere Kostenlose Bücher