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Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition)

Titel: Süden und die Stimme der Angst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Klara«, sagte die Ärztin.
    Jetzt sah Ariane die junge Frau an. Sie war um die dreißig, hatte kurze blonde Haare und ein rundes, sehr blasses Gesicht. Sie trug kniehohe Lederstiefel. Sie war eine der beiden Frauen, die auf einem Gummiball saßen.
    »Kommt ein Leprakranker zu einer Nutte«, sagte Klara und warf jeder in der Runde einen Blick zu. »Sie vögeln, und hinterher sagt die Nutte: Tut mir Leid, ich hab eine schlechte Nachricht für dich, ich hab Aids.« Sie sah Ariane an. »Egal, sagt der Leprakranke, ich hab ihn sowieso stecken lassen.«
    Eine der Frauen, eine der älteren, fing lauthals an zu lachen. Ein paar andere schmunzelten. Einige reagierten nicht.
    »Hat mir mein Sohn erzählt«, sagte Klara. Und zu Ariane gewandt: »Der ist zehn.«
    Auch Ariane hatte geschmunzelt. Und als die Ärztin sie wieder ansprach, merkte sie, dass sie sich die Hand vor den Mund hielt. Eine Geste, die ihr unbekannt war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals schamvoll oder erschrocken den Mund bedeckt zu haben. Wieso hatte sie das Gefühl, in einer Prüfung zu sein? Alle glotzten sie an. Und sie brachte keinen Ton heraus.
    »In dieser Stadt und der näheren Umgebung leben ungefähr sechshundert Frauen, denen es so ergeht wie Ihnen.« Die Ärztin schaute Ariane an. Und Ariane war unfähig, sie zu unterbrechen. Aufzustehen. Zu verschwinden. »Viele von ihnen haben Angst, entlarvt zu werden oder noch schlimmer: später mal abhängig von jemand zu sein, dem sie nicht vertrauen. Aber viele sind auch stark und kämpfen gegen die Vorurteile und haben Erfolg damit. Und eine Menge dieser Frauen leben mit ihrer Krankheit seit mehr als zehn Jahren, manche seit fast zwanzig Jahren. Sie leben, und sie werden weiterleben.«
    »Ich bin seit neunundachtzig infiziert«, sagte Klara. In Arianes Ohren klangen diese Worte nüchtern und einfach. »Mein Sohn ist nicht infiziert, der Sirup hat gut gewirkt bei ihm. Natürlich hab ich ihn nicht gestillt, er ist auch so ganz proper geworden. Und jetzt fängt er schon an, schmutzige Witze zu erzählen.«
    Einige der Frauen lachten leise.
    »Du musst nicht glauben, dass wir hier so was wie ein feministischer Verein sind, letztendlich ist jeder für sich … Stimmt doch, Elfie, auch wenn du meinst, wir sind eine Familie, sind wir nicht …«
    Die Angesprochene schaute zur Tür. Sie hatte offensichtlich kein Interesse daran, schon wieder diese Debatte zu führen. Für sie war es wohl eine Familie. Und das wollte sie sich nicht kaputtreden lassen von diesen jungen Gören. Elfie war zweiundsechzig. Wie lange sie schon infiziert war, wusste sie nicht. Den Befund kannte sie seit zwölf Jahren. Sie hatte keine Ahnung, was sie getan hätte, wenn sie nicht auf die Gruppe von Dr. Sibylle Forster gestoßen wäre. Vielleicht hätte sie sich umgebracht. Oder sie hätte sich um nichts mehr gekümmert. Hätte die Tabletten nicht genommen. Und gehofft, irgendein Hospiz würde sie aufnehmen.
    »Ich helf dir, wenn du was brauchst«, sagte sie zu Ariane. Und die war zu überrascht, um etwas zu erwidern.
    »Ja, Mama«, sagte Klara. Sie griff hinter sich. Ariane konnte nicht erkennen, was die Frau tat. Als sie sich wieder der Gruppe zuwandte, war Ariane verblüfft. Klara hatte sich eine Zigarette angezündet und hielt einen kleinen muschelförmigen Aschenbecher in der Hand.
    »Das ist gegen die Abmachung«, sagte eine Frau Anfang vierzig. Sie trug einen langen grünen, selbst gestrickten Pullover, der ihr bis zu den Knien reichte.
    »Ich stör mich ja auch nicht dran, wenn du hier strickst, Sandra«, sagte Klara.
    »Das ist ja wohl was anderes.«
    »Für mich nicht.« Sie grinste Ariane an. »Ich sag dir was, dieses Virus, das hat was, ehrlich, das hat eine Qualität. Das lässt dich die Dinge mit neuen Augen sehen …«
    »Vor allem, wenn man neue Kontaktlinsen hat wie du«, sagte Elfie. Es klang wie eine ungelenke Retourkutsche.
    »Ganz genau«, sagte Klara. Und inhalierte genussvoll den Rauch. »Ich sag dir was, Jenny, ich war letztes Jahr in der Toskana, mit meinem Mann und Andi, so heißt mein Sohn, wir waren in Volterra und der Gegend. Ich stand da so und schaute mir alles an, und ich schwör’s, ich hätt heulen können, so schön war das. Und wenn ich das Virus nicht hätt, hätt ich das nicht erlebt, ehrlich, dann wär alles bloß ganz nett gewesen, ganz nett wie immer, das Übliche … So ist alles anders, der … der Augenblick dauert jetzt länger. Ich schwör’s dir, Jenny, du wirst es sehen. Ja,

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