Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Gefühl benennen zu können.) Als ich dieser Frau begegnete, war ich siebzehn und in der zwölften Klasse. Sie war zwanzig und studierte seit zwei Jahren. Wie es der Zufall wollte, war sie eine Cousine von Izumi. Sie hatte sogar einen Freund, aber auch das bedeutete für uns kein Hindernis. Sie hätte zweiundvierzig sein, drei Kinder und zwei haarige Schwänze haben können, es wäre mir gleich gewesen. So stark war die Anziehungskraft, die sie auf mich ausübte. Ich wusste, dass ich diese Frau nicht vorübergehen lassen durfte. Andernfalls würde ich es mein Leben lang bereuen.
So kam es, dass ich meine Jungfräulichkeit an eine Cousine meiner Freundin verlor. Und zu allem Überfluss war sie nicht einfach nur eine Cousine, nein, sie und Izumi standen sich besonders nah. Schon von Kindheit an waren sie auch Freundinnen und sahen sich häufig. Die Cousine studierte in Kioto und wohnte auf der Westseite des Gosho, des alten Kaiserpalastes. Als Izumi und ich einmal nach Kioto fuhren, riefen wir sie an und verabredeten uns zum Mittagessen. Das war etwa zwei Wochen nach dem Fiasko mit meiner Tante.
Als Izumi kurz draußen war, bat ich die Cousine unter dem Vorwand, sie später vielleicht noch einiges zu ihrer Universität fragen zu wollen, um ihre Telefonnummer. Zwei Tage darauf rief ich sie zu Hause an und fragte, ob wir uns am kommenden Sonntag treffen könnten. Nach kurzem Zögern stimmte sie zu. Just an dem Tag habe sie nichts vor. Etwas in ihrem Tonfall überzeugte mich, dass auch sie mit mir schlafen wollte. Ich spürte es ganz deutlich. Am darauffolgenden Sonntag fuhr ich allein nach Kioto, und bereits am selben Nachmittag landeten wir im Bett.
Izumis Cousine und ich hatten zwei Monate lang so wilden Sex, dass uns fast das Hirn schmolz. Wir gingen weder ins Kino noch spazieren. Wir sprachen über nichts – nicht über Romane, Musik, das Leben, den Krieg oder die Revolution. Wir hatten ausschließlich Geschlechtsverkehr. Wahrscheinlich tauschten wir ein paar allgemeine Bemerkungen aus, aber ich kann mich an keine davon erinnern. Das Einzige, woran ich mich erinnere, sind konkrete Kleinigkeiten. An den Wecker am Kopfende ihres Bettes, die Vorhänge, das schwarze Telefon auf dem Tisch, Kalenderfotos und ihre auf dem Boden verstreuten Kleider. An den Duft ihrer Haut und an ihre Stimme. Ich fragte sie nichts, und sie fragte mich nichts. Nur einmal, als wir im Bett lagen, kam mir plötzlich der Gedanke, sie zu fragen, ob sie ein Einzelkind sei.
»Ja«, sagte sie etwas verwundert. »Woher weißt du das?«
»Ich wusste es nicht, es war nur so ein Gefühl.«
Sie sah mir kurz ins Gesicht. »Bist du vielleicht auch ein Einzelkind?«
»Genau«, sagte ich.
Das ist alles, was mir von unseren Gesprächen im Gedächtnis geblieben ist.
Nur im äußersten Notfall aßen oder tranken wir etwas. Kaum wurden wir einander ansichtig, rissen wir uns, ohne ein Wort zu verschwenden, die Kleider vom Leib, sprangen ins Bett und schliefen miteinander. Ohne Präliminarien und Protokoll. Ich gierte nach dem, was ich sah, und ihr ging es vermutlich genauso. Bei jedem Treffen schliefen wir vier oder fünf Mal zusammen. Buchstäblich bis meine Eichel anschwoll und schmerzte und mein Sperma versiegte. Bei aller Leidenschaft und starken Anziehungskraft kam es uns nie in den Sinn, dass wir ein Liebespaar werden und auf Dauer glücklich sein könnten. Wir fühlten uns wie in einem Wirbelsturm, der irgendwann vorüberziehen würde. Das Wissen, dass es nicht ewig so weitergehen würde und jedes Zusammensein das letzte sein konnte, fachte unsere Begierde nur noch mehr an.
Offen gestanden liebte ich sie nicht. Und sie mich natürlich auch nicht. Doch damals spielte das für mich keine Rolle. Für mich zählte nur, dass ein unbezähmbares Etwas mich mit sich riss und darin etwas Essenzielles verborgen lag. Ich wollte unbedingt wissen, was das war. Wäre es möglich gewesen, hätte ich meine Hand in ihren Körper gesteckt, um dieses Etwas zu berühren.
Ich hatte Izumi wirklich gern, doch wenn wir zusammen gewesen waren, hatte ich kein einziges Mal diesen irrationalen Sog gespürt. Über die andere Frau wusste ich vergleichsweise nichts. Ich mochte sie nicht einmal besonders. Dennoch ließ sie mich bis in mein Innerstes erbeben, so leidenschaftlich fühlte ich mich von ihr angezogen. Dass wir nie ein ernsthaftes Wort miteinander sprachen, lag einfach daran, dass wir nicht das Bedürfnis danach hatten. Die Energie, die uns ein ernstes Gespräch
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