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Aschenputtels letzter Tanz

Aschenputtels letzter Tanz

Titel: Aschenputtels letzter Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Weise
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E s ist einer dieser Tage, an dem sich der Sommer von seiner gefährlichen Seite zeigt. Der Wind peitscht roten Staub über die Auffahrt, und über uns ziehen sich dunkle Wolken zusammen. Blitzschwer und unheilvoll.
    Jeden Moment wird es wie aus Eimern gießen, trotzdem können Mutsch und ich uns nicht überwinden, die letzten Meter vom Auto bis zum Haus zu laufen. Stattdessen hocken wir wie zwei Verbrecher im Wagen und beobachten die blaue Eingangstür mit dem schweren Messingtürklopfer, einem Löwen mit Ring im Maul, der uns aus finsteren kleinen Augen entgegenstarrt.
    »Vergiss nicht, was wir besprochen haben, Harper«, sagt Mutsch und umklammert mit weißen Fingern das Lenkrad, während der Rauch ihrer Zigarette gegen die Frontscheibe des Toyotas schlägt. Ihre braunen Augen sind zu Schlitzen zusammengekniffen.
    »Aber ja«, erwidere ich. »Wenn jemand fragt, ist die Antwort: Es geht uns hervorragend, deine Aufträge waren nie besser, alle Kunden zahlen pünktlich, in der Schule läuft es wie geschmiert und überhaupt ist das Leben das reinste Paradies. Irgendwas vergessen?«
    »Kommt ungefähr hin. Und lass Oma bloß nicht wissen, dass sie dich aus dem Biologieunterricht geschmissen haben, weil du Edgar als Anschauungsobjekt mitgebracht hast!«
    Ich werfe einen Blick auf den Rücksitz, aber Edgar und Tennessee sind still, wahrscheinlich hat sie das näher kommende Gewittergrollen verschreckt. Nicht einmal ihre rosafarbenen Schwänze sind zwischen den Sägespänen zu sehen.
    »Ehrlich, Mutsch, ich verstehe nicht, warum wir nicht woanders hingefahren sind«, sage ich zu meiner Mutter und stecke einen Finger zwischen die Gitterstäbe des Käfigs, aber auch das lockt Edgar und Tennessee nicht an.
    »Freust du dich denn nicht auf Elsa?«
    »Doch. Schon. Trotzdem hätten wir auch mal nach Italien fahren können anstatt in Großmutters Geisterhaus.« Seufzend drehe ich mich wieder nach vorn.
    Vor uns erhebt sich das Anwesen, in dem Mutsch aufgewachsen ist und das meiner Vorstellung von einem Schreckenshaus mit Gespenstern schon recht nahe kommt. Der wilde Wein, der an der Fassade emporklettert, zittert im Wind. Wie Finger graben sich seine hundert Enden in die alten Backsteinmauern, um sich nachoben zu ziehen, und selbst das Dach ist damit überwuchert.
    Kein Wunder, das Haus ist schon alt, mindestens zweihundert Jahre, und irgendwann hat Großmutter es aufgegeben, gegen den Wein anzukämpfen, weil das Grundstück einfach viel zu groß ist. Allein das Herrenhaus, vor dem wir parken, besitzt zwei Flügel mit einem L-förmigen Grundriss. Im vorderen Teil wohnt Großmutter, im hinteren Teil haben sich Tante Luise, Onkel Gerhard und meine Cousine Elsa eingerichtet. Mutschs altes Kinderzimmer liegt im ersten Stock im Vorderhaus, aber das Fenster ist kaum noch zu erkennen, denn die Ranken bedecken es fast vollständig. Rosenbüsche säumen den Sockel des Gebäudes und jedes Jahr ruiniere ich mir mindestens eine Hose durch ihre riesigen Dornen. Von meinen Waden und Händen ganz zu schweigen.
    In einiger Entfernung steht das Gästehäuschen, eine Miniaturausgabe des Geisterhauses; genauso alt, genauso eingeschnürt in Kletterpflanzen und aus dem gleichen verwitterten roten Backstein unter dem wuchernden Grün, aus dem auch so viele andere Gebäude in Mahnburg bestehen. Früher gab es im Ort viel Industrie, aber heute zeugen davon nur noch das Sägewerk und die engen Häuser mit den kleinen Fenstern, in denen es nie richtig hell wird.
    Mein Blick sucht die alten knorrigen Eichen, die das weitläufige Grundstück wie eine lebendige grüne Mauerumschließen und ihre Schatten in unsere Richtung werfen.
    Dahinter beginnt das Geißelmoor. Und mit ihm die Geschichten, die sich darum ranken. Die Mahnburger lieben ihre Gruselmärchen vom Moor, die sie stets mit einem Lachen erzählen, das nie ganz echt klingt. So, als wollten sie sich selbst Mut damit machen.
    Seit Jahrhunderten liegt das Geißelmoor unverändert am Rand des Orts. Abgenagte Birkenstämme ragen wie bizarre Kunstobjekte in den Himmel, und unter der trügerischen feuchtschimmernden Oberfläche lauert eine dunkle, eisige Tiefe, die alles verschlingt, was ihr zu nahe kommt. Nur wenige Menschen wissen, dass das Moor nicht deshalb so gefährlich ist, weil man schnell in ihm versinkt, sondern weil unter der Oberfläche eine so starke Kälte herrscht, dass man in kürzester Zeit bewegungsunfähig wird.
    Wehe dem Ahnungslosen, der einen Schritt vom festen Weg abkommt, er wird

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