Südlich der Grenze, westlich der Sonne
Tage Schulbücher redigieren, die mich nicht interessierten. Bis zu meinem Ruhestand waren es noch dreiunddreißig Jahre, und wenn nichts geschah, würde ich tagein, tagaus am Schreibtisch sitzen, Fahnen durchsehen, Zeilen zählen und Satzzeichen korrigieren. Ich würde eine passende Frau heiraten, Kinder bekommen, und die einzige Freude in meinem Leben wäre der Bonus, der zweimal im Jahr ausbezahlt wurde. Ich erinnerte mich an das, was Izumi zu mir gesagt hatte. »Aus dir wird bestimmt einmal eine große Persönlichkeit. Du hast etwas ganz Besonderes an dir.« Es tat weh, wenn ich daran dachte. An mir ist überhaupt nichts Besonderes, Izumi. Aber inzwischen weißt du das ja auch. Aber was soll ich machen? Jeder macht mal einen Fehler.
Mechanisch erledigte ich die Arbeiten, die mir zugeteilt wurden. In meiner Freizeit las ich oder hörte Musik. Ich gelangte zu der Ansicht, dass Arbeit nicht mehr war als eine langweilige Pflicht. Die übrige Zeit wollte ich verbringen, wie es mir gefiel, und mein Leben genießen, so gut es eben ging. Deshalb ging ich auch nie mit meinen Kollegen aus. Nicht weil ich ungesellig war oder mich absondern wollte, sondern weil ich von meiner Zeit so viel wie möglich für mich haben wollte.
So vergingen vier oder fünf Jahre, in denen ich mehrere Freundinnen hatte. Mit keiner war ich länger zusammen. Immer fand ich nach ein paar Monaten, dass es irgendwie nicht die Richtige war. Nie konnte ich an ihnen etwas entdecken, das nur für mich bestimmt war. Mit einigen von ihnen schlief ich, aber ohne besondere innere Beteiligung. Das war die dritte Phase meines Lebens. Die zwölf Jahre vom Beginn meines Studiums bis zu meinem dreißigsten Geburtstag waren von Einsamkeit und Enttäuschung geprägt. Ich lebte wie eingefroren, fast ohne Verbindung zu anderen Menschen.
Ich zog mich immer mehr in meine eigene Welt zurück. Ich aß allein, ging allein spazieren, allein schwimmen, allein ins Kino, allein ins Konzert. Dabei fühlte ich mich nicht einmal besonders einsam oder unwohl. Ich dachte viel an Shimamoto und Izumi. Was wohl aus ihnen geworden war? Vielleicht waren beide schon verheiratet. Und hatten sogar Kinder. Ich hätte viel dafür gegeben, sie wiederzusehen und mit ihnen zu reden, und sei es nur für eine Stunde. Denn ihnen konnte ich sagen, was ich fühlte. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich mir ausdachte, wie ich wieder mit Izumi zusammenkommen oder ein Wiedersehen mit Shimamoto herbeiführen könnte. Wie schön das gewesen wäre. Nicht dass ich versuchte, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Dazu waren die beiden schon zu lange aus meinem Leben verschwunden. Ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Ich begann Selbstgespräche zu führen und abends allein zu trinken. Damals glaubte ich, ich würde niemals heiraten.
In meinem zweiten Jahr im Verlag hatte ich einmal eine Verabredung mit einem gehbehinderten Mädchen. Es war ein Doppel-Date. Ein Kollege überredete mich dazu.
»Sie hat eine kleine Gehbehinderung«, sagte er zögernd. »Aber sie ist hübsch und sehr sympathisch. Ich glaube, sie würde dir gefallen. Es fällt gar nicht besonders auf. Sie zieht nur das eine Bein ein bisschen nach.«
»Das stört mich nicht«, sagte ich. Ehrlich gesagt wäre ich gar nicht auf seinen Vorschlag eingegangen, wenn er die Behinderung des Mädchens nicht erwähnt hätte. Ich hatte solche arrangierten Verabredungen schon lange satt. Doch als ich das mit ihrem Bein hörte, konnte ich nicht widerstehen.
Die Freundin meines Kollegen kannte sie noch aus der Schulzeit. Ich glaube, sie waren in der Oberschule in einer Klasse gewesen. Sie war zierlich und hatte regelmäßige Züge. Ihre Schönheit war nicht auffallend, sondern eher verhalten und ließ mich an ein kleines Tier denken, das sich kaum je aus der Tiefe des Waldes hervorwagt. Wir besuchten eine Sonntagsmatinee im Kino und gingen anschließend zu viert Mittagessen. Die ganze Zeit über sagte sie kaum ein Wort. Auch wenn ich mich bemühte, sie ein bisschen aus der Reserve zu locken, schwieg sie nur und lächelte. Anschließend verabschiedeten wir uns von dem anderen Paar, um im Hibiya-Park spazieren zu gehen und Kaffee zu trinken. Im Gegensatz zu Shimamoto zog sie das rechte Bein nach. Auch die Art, wie sie ihre Schritte setzte, war anders. Während Shimamoto ihr Bein mit einer leichten Drehung vorwärtsbewegte, wandte sie die Fußspitze ein wenig zur Seite und zog das Bein dann gerade nach vorn. Dennoch wirkte der Gang der beiden insgesamt
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