Südlich der Grenze, westlich der Sonne
ähnliche Situation geraten, dasselbe wiederholen würde. Ich würde Izumi wieder belügen und mit ihrer Cousine schlafen. Auch wenn ich ihr damit sehr wehtat. Es fiel mir nicht leicht, mir das einzugestehen. Aber es war die Wahrheit.
Natürlich hatte ich mit dem Leid, dass ich Izumi zugefügt hatte, zugleich mir selbst geschadet. Ich hatte mir eine tiefe Wunde beigebracht – weitaus tiefer, als es mir damals bewusst war. Eigentlich hätte ich aus dieser Erfahrung viel lernen können. Aber wenn ich nach all den Jahren zurückblickte, hatte ich eigentlich nur eine konkrete Einsicht daraus gewonnen. Nämlich die, dass ich imstande war, Böses zu tun. Zwar fügte ich nie jemandem mit Absicht Schmerzen zu, aber wenn nötig konnte ich, aus welchen Motiven auch immer, egoistisch und grausam sein. Ich brauchte nur einen plausiblen Grund, dann war ich fähig, einen mir nahestehenden Menschen so tief zu verletzen, dass er sich nie wieder davon erholte.
Als ich nach Tokio zog, nahm ich mir vor, ein neues Leben zu beginnen und mich zu ändern, meinen Fehler wiedergutzumachen. Anfangs schien das auch zu funktionieren. Doch am Ende blieb ich, wohin ich auch ging, immer derselbe. Ich beging dieselben Fehler, tat anderen weh und damit auch mir selbst.
Als ich zwanzig war, kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht nie ein anständiger Mensch werden würde. Ich hatte so viele Fehler gemacht. Aber vielleicht waren das in Wirklichkeit gar keine Fehler gewesen, sondern es handelte sich um angeborene Charaktereigenschaften. Bei dieser Vorstellung überkam mich eine schreckliche Düsternis.
5
Über meine vier Jahre an der Universität gibt es nicht viel zu berichten.
Im ersten Jahr nahm ich an mehreren Demonstrationen teil und geriet sogar in Schlägereien mit der Polizei. Ich unterstützte den Uni-Streik und ging zu politischen Versammlungen. Dabei lernte ich ein paar sehr interessante Leute kennen. Dennoch war ich nicht imstande, mich für den politischen Kampf zu begeistern. Jedes Mal, wenn sich auf einer Demo jemand bei mir unterhakte, wurde es mir unbehaglich, und wenn ich Steine auf Polizisten warf, hatte ich das Gefühl, irgendwie nicht ich selbst zu sein. War dies wirklich das, was ich wollte? Es gelang mir nicht, so etwas wie zwischenmenschliche Solidarität zu empfinden. Die Atmosphäre der Gewalt, die in den Straßen herrschte, und die markigen Parolen, die wir skandierten, verloren bald ihren Reiz. Allmählich sehnte ich mich nach der Zeit mit Izumi zurück. Aber es gab kein Zurück mehr. Diese Welt hatte ich längst hinter mir gelassen.
Allerdings hatte ich auch kaum Interesse an dem, was an der Universität gelehrt wurde. Die Veranstaltungen, die ich belegt hatte, waren größtenteils bedeutungslos und langweilig. Keine einzige berührte mich. Schließlich ließ ich mich vor lauter Jobben kaum noch an der Uni blicken und konnte von Glück sagen, dass ich nach vier Jahren mit Ach und Krach das Examen schaffte. Im sechsten Semester lebte ich ein halbes Jahr lang mit einer Freundin zusammen, aber auch das ging nicht gut aus. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich im Leben wollte.
Unversehens war die Zeit der politischen Aktionen vorbei. Der Revolution war aller Wind aus den Segeln genommen worden, und die einstmals welterschütternden Verwerfungen und Wogen verloren sich in einem trüben, ausweglosen Alltag.
Nach dem Studium bekam ich durch die Vermittlung eines Bekannten eine Stelle im Lektorat eines Schulbuchverlags. Ich schnitt mir die Haare und zog mir Lederschuhe und einen Anzug an. Es war kein aufsehenerregender Verlag, aber die Aussichten für frisch examinierte Literaturwissenschaftler waren in dem Jahr nicht gerade rosig. Außerdem wäre ich bei meinen Noten und ohne Beziehungen sowieso bei keinem der interessanteren Verlage untergekommen. Ich musste nehmen, was ich bekam.
Die Arbeit war erwartungsgemäß langweilig. Das Betriebsklima war an sich nicht schlecht, doch leider machte mir das Redigieren von Schulbüchern nicht die geringste Freude. In der Hoffnung, vielleicht doch etwas Interessantes daran finden zu können, stürzte ich mich im ersten halben Jahr mit Feuereifer in die Arbeit. Wenn ich Einsatz zeigte, würde schon etwas dabei herauskommen. Doch zu guter Letzt gab ich auf. Wie ich es auch drehte und wendete, diese Stelle war nichts für mich. Ich war völlig frustriert und hatte das Gefühl, dass mein Leben bereits vorbei war. Die Jahre würden vergehen, und ich würde bis zum Ende meiner
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