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Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Südlich der Grenze, westlich der Sonne

Titel: Südlich der Grenze, westlich der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Ausdruck. Als wäre sie, während ihre Augen geschlossen waren, weit fort gewesen und nun zurückgekehrt, nachdem sie dort etwas abgestellt hatte. »Gut«, sagte sie. »Dann lass uns fahren.«
    Ich rief meinen stellvertretenden Geschäftsführer und sagte ihm, dass ich früher gehen würde. Er solle sich um alles kümmern – die Abrechnung machen, die Quittungen sortieren und die Einnahmen in den Nachttresor bringen. Ich holte den BMW aus der unterirdischen Garage unseres Apartmenthauses. Dann rief ich meine Frau von einem Telefonhäuschen in der Nähe aus an, um ihr zu sagen, dass ich jetzt nach Hakone fahren würde.
    »Jetzt?«, fragte sie erstaunt. »Was willst du denn um diese Uhrzeit noch in Hakone?«
    »Ich muss nur ein bisschen nachdenken«, sagte ich.
    »Und kommst du heute noch nach Hause?«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    »Ach, Hajime«, sagte Yukiko. »Es tut mir leid wegen heute Morgen. Natürlich hattest du recht. Ich habe die ganzen Aktien wieder abgestoßen. Komm doch bitte nach Hause.«
    »Ich bin nicht sauer auf dich, Yukiko. Überhaupt nicht. Vergiss die ganze Sache. Ich brauche einfach Zeit zum Nachdenken. Nur eine Nacht, ja?«
    Sie schwieg einen Moment. »Einverstanden«, sagte sie. Ihre Stimme klang erschöpft. »Dann fahr nach Hakone. Aber fahr bitte vorsichtig. Es regnet.«
    »Ich passe auf.«
    »Es gibt so vieles, was ich nicht verstehe«, sagte sie. »Bin ich dir eine Last?«
    »Nein, bist du nicht«, sagte ich. »Du bist nicht das Problem, du trägst keine Schuld. Wenn es ein Problem gibt, dann bin ich es. Mach dir also keine Gedanken. Ich muss nur nachdenken.«
    Ich legte auf und fuhr mit dem Wagen zur Bar zurück. Wahrscheinlich hatte Yukiko den ganzen Tag lang über unser Gespräch beim Mittagessen nachgegrübelt. Über alles, was ich gesagt und was sie gesagt hatte. Ich hatte es an ihrer Stimme gehört. Und sie hatte so müde geklungen. Es zerriss mir fast das Herz, wenn ich daran dachte. Es regnete noch immer sehr stark. Ich holte Shimamoto ab.
    »Musst du niemanden anrufen?«, fragte ich sie.
    Sie schüttelte schweigend den Kopf. Wie damals auf der Rückfahrt vom Flughafen Haneda legte sie den Kopf an die Scheibe und sah aus dem Fenster.
    Die Straße nach Hakone war leer. Ich verließ die Tomei-Autobahn bei Atsugi und fuhr auf der Odawara-Atsugi-Schnellstraße direkt nach Odawara. Die Tachonadel bewegte sich zwischen 130 und 140 hin und her. Zeitweise goss es in Strömen, aber ich kannte alle Kurven und Hügel auf der Strecke. Shimamoto und ich hatten, seit wir auf der Schnellstraße waren, kaum ein Wort gesprochen. Ich lauschte den leisen Klängen des Mozart-Quartetts, das ich eingelegt hatte, und konzentrierte mich auf die Straße. Shimamoto blickte in Gedanken versunken aus dem Fenster. Hin und wieder wandte sie mir ihr Gesicht zu und musterte mein Profil. Wenn sie mich so ansah, wurde mein Mund ganz trocken. Ich musste immer wieder schlucken, um mich zu beruhigen.
    »Hajime?«, sagte sie, als wir auf der Höhe von Kouzu waren. »Hörst du außerhalb der Bar keinen Jazz?«
    »Kaum. Ich höre überwiegend klassische Musik.«
    »Warum denn?«
    »Vielleicht weil Jazz irgendwie zu meiner Arbeit gehört. Außerhalb der Bar höre ich lieber etwas anderes. Manchmal auch Rockmusik, aber Jazz so gut wie nie.«
    »Welche Art von Musik hört denn deine Frau?«
    »Meistens hört sie, was ich höre. Aber sie selbst legt nie eine Platte auf. Wahrscheinlich weiß sie nicht einmal, wie der Plattenspieler funktioniert.«
    Shimamoto nahm ein paar Kassetten aus dem Fach und schaute sie sich an. Darunter war eine mit Kinderliedern, zu der ich mit meinen Töchtern sang. »Wachtmeister Wauwau«, »Tulip« und so etwas. Wir sangen sie auf dem Hin- und Rückweg zum und vom Kindergarten. Shimamoto musterte die Kassette mit dem Snoopy-Aufkleber, als wäre sie eine besondere Rarität.
    Dann starrte sie mich wieder von der Seite an. »Hajime«, sagte sie nach einer Weile. »Wenn ich dich so fahren sehe, verspüre ich den Drang, die Hand auszustrecken und mit einem Ruck das Lenkrad herumzureißen. Das wäre unser Tod, nicht wahr?«
    »Ganz bestimmt. Immerhin fahren wir hundertdreißig.«
    »Wäre es schlimm für dich, hier mit mir zu sterben?«
    »Ich kann mir einen schöneren Tod vorstellen.« Ich lachte. »Außerdem haben wir uns noch nicht die Platte angehört. Deshalb fahren wir doch nach Hakone.«
    »Keine Sorge. Ich tue es nicht«, sagte sie. »Mir kommt nur hin und wieder der Gedanke.«
    Es war erst Anfang

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