Sünden der Nacht
durch eine
Ansammlung lauter verschiedenartiger Holztische, mit
schweren irdenen Tellern, auf denen sie die Spezialität des Tages servierten.
Grandma’s Attic war in einem Teil einer renovierten
Wollweberei untergebracht, mit Ziegelwänden, an denen der Zahn der Zeit genagt hatte, Böden aus zerkratztem Holz, und hohen Balkendecken. Auf der Straßenseite des
Hauptspeiseraums schaute man durch eine Reihe
geschwungener Bogenfenster. Entlang einer Stange, die von einer Wand zur anderen parallel zur Fensterfront verlief, hingen üppige Farne in Messingtöpfen.
Auf jedem verfügbaren Fleckchen standen oder prangten
Haushaltsantiquitäten – Kupferkessel, irdene Kaffeekannen, Porzellanteekannen, Küchengeräte, Butterfässer und hölzerne Buttermodeln, Salzkästchen und blaue Steingutkrüge.
Strategisch verteilt standen alte Schiffskoffer, die die Kellnerinnen als Serviertische benutzten, im Raum. Abgesehen von den mehr alltäglichen Dingen gab es auch eine wunderbare Sammlung von Damenhüten, die über hundert Jahre alt war: breitkrempige Räder, drapiert mit zahllosen Metern
durchsichtiger Schleier. Pillboxes und Hüte mit Straußenfedern, welche zum Reiten und Autofahren sowie mit schwarzen
Spitzenschleiern dekoriert.
Megan war hingerissen. Sie liebte Dinge aus Großmutters Zeiten und genoss es, auf Flohmärkten Jagd nach ihnen zu machen, sie von einer Generation Frauen zur nächsten
weitergegeben worden waren. In ihrer Familie fehlte so etwas, sie hatte nichts von ihrer Mutter. Ihr Vater hatte sämtliche Habseligkeiten Maureen O’Malleys verbrannt, einen Monat, 45
nachdem sie ihre Familie im Stich gelassen hatte. Megan war gerade sechs Jahre alt gewesen.
Die Empfangsdame begrüßte Mitch mit Namen, musterte
Megan interessiert und führte sie zu einer Nische im erhöhten Teil des Lokals, wo alles etwas weniger hektisch schien und der Lärmpegel durch die hohen Zwischenwände der Nischen
gedämpft wurde.
»Der übliche Wahnsinn«, sagte sie mit einem herzlichen Lächeln für Mitch. Sie sah aus wie Mitte vierzig, sehr attraktiv, mit blaßblondem Pagenschnitt. »Und obendrein pumpen sich alle schon für den Snowdaze auf. Denise hat gesagt, sie kommt vielleicht am Wochenende.«
Mitch ließ sich sie Speisekarte geben. »Wie gefällt’s ihr denn auf der Designerschule?«
»Sie findet es wunderbar und hat mich beauftragt, dir zu danken, weil du sie ermutigt hast zurückzugehen – und du sollst sie besuchen, wenn du mal in die Stadt kommst. Sie geht ab und zu mit einem Architekten aus, aber es ist nichts Ernstes«, fügte sie hastig hinzu mit einem scheelen Seitenblick auf Megan.
»Mmhm«, murmelte Mitch. »Darlene, das ist Megan
O’Malley, unser neuer Agent vom BCA. Sie ist die
Nachfolgerin von Leo Kozlowski und heute zum ersten Mal in der Stadt; ich dachte, ich stelle ihr Grandma’s vor. Megan, Darlene Hallstrom.«
»Uuuh!« trällerte Darlene und strahlte gekünstelt, aus dem Augenwinkel versuchte sie zu erkennen, ob Megan einen
Ehering trug.
»Wie schön, ein neues Gesicht in der Stadt zu haben. Arbeitet Ihr Mann auch in Deer Lake?«
»Ich bin nicht verheiratet.«
»Sehr interessant«, knirschte sie, immer noch lächelnd und reichte ihr die Speisekarte. »Wir hatten Leo alle gerne. Guten 46
Appetit!«
Mitch seufzte, als Darlene mit wackelnden Hüften abrauschte.
»Wer ist Denise?« fragte Megan.
»Darlenes Schwester. Ihre geschiedene Schwester. Darlene hatte da Pläne.«
»Wirklich? Was hat denn Ihre Frau dazu gesagt?«
»Meine …«
Er folgte ihrem Blick, der auf die Hand mit der Speisekarte gerichtet war. Der Goldring an seinem linken Ringfinger glänzte im sanften Licht. Er trug ihn aus einer Reihe von Gründen –
weil er mannstolle Weiber abschreckte; weil es Gewohnheit war; weil er jedesmal, wenn er ihn ansah, den stechenden Schmerz von Kummer und Schuldgefühlen verspürte. Er
entschuldigte das damit, dass er ein Cop war und Cops von Natur aus pervers sind und katholisch in Gewissensfragen, wenn auch sonst nicht.
»Meine Frau ist tot«, sagte er, und seine Stimme war nur ein hartes, kaltes Flüstern, seine emotionellen Schilde schnellten wie Eisenwände um ihn hoch. Fast zwei Jahre waren vergangen, und die Worte schmeckten immer noch wie der Kleber von Briefmarken, bitter und beißend. Sie auszusprechen hatte ihm nicht geholfen. Und Mitgefühl wehrte er so unbeholfen ab, wie ein Stürmer den Ball mit einem Fängerhandschuh.
»Ich spreche nicht darüber«, sagte er ohne
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