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Sünden der Nacht

Sünden der Nacht

Titel: Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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Anonymität war ein bequemer Deckmantel, die Wahrheit ein Neonlicht, das unnötige Aufmerksamkeit auf die traurige Geschichte seines Lebens zog.
    Kümmre dich um deinen eigenen Kram, Leslie. Sei nicht stolz, Leslie.
    Stolz und Arroganz sind die Sünden der Menschheit.
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    Diese Zeilen hatte man ihm in seiner Kindheit mit eisernen Fäusten und spitzer Zunge eingehämmert, so dass sie
    ununterbrochen dumpf in seinem Kopf dröhnten. Für ihn war es immer ein Rätsel gewesen, worauf er denn stolz sein könnte. Er war klein und hässlich, mit einem dunkelroten Muttermal, das ein Viertel seines Gesichts überzog.
    Seine Talente nahmen sich eher bescheiden aus und für
    niemanden von Interesse. Seine Erfahrungen waren beschämend und voller Geheimnisse, daher behielt er sie für sich. Das hatte er immer schon gemacht, die wenigen besorgten Fragen mit einem Achselzucken abgetan, Blutergüsse und Narben negiert, und sein Glasauge mit einem Sturz vom Baum erklärt.
    Er hatte einen wachen Verstand, einen guten Kopf für Bücher und Studien, war ein Naturtalent am Computer. Diese Tatsache verschwieg er ebenfalls, hütete sie als einzigen Sonnenstrahl eines im übrigen tristen Lebens.
    Olie hasste Cops. Und ganz besonders hasste er Männer. Ihre Größe, ihre Kraft, ihre aggressive Sexualität, all das löste bei ihm miese Gefühle aus, deshalb hatte er auch keine echten Freunde in seinem Alter.
    Wenn es überhaupt Freunde für ihn gab, dann die
    Eishockeyjungs. Er beneidete sie um ihren Übermut und ihre Unschuld. Sie mochten ihn, weil er gut Schlittschuh laufen konnte und akrobatische Kunststücke beherrschte. Einige hänselten ihn gemein wegen seines Aussehens, aber zum
    Großteil akzeptierten sie ihn, und mehr konnte Olie sowieso nicht erwarten.
    Er stand in der Ecke eines Lagerraums, den er als eine Art Büro eingerichtet hatte, und seine Nerven zuckten wie Würmer unter der Haut, als sich Chief Holt zu voller Größe im Türrahmen aufbaute.
    »Tag, Olie«, sagte der Chief. Sein Lächeln war aufgesetzt und müde.
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    »Wie läuft’s denn?«
    »Gut.« Olie hackte das Wort wie einen Zweig ab und zog am Ärmel der gesteppten Daunenjacke, die er sich in einem Armeeladen in den Twin Cities gekauft hatte. Unter seinem dicken Wollpullover lief ihm der Schweiß aus den Achseln die Seiten herunter, stank sauer.
    Eine Frau lugte unter dem rechten Arm des Chief durch.
    Strahlend grüne Augen in einem Elfengesicht und dunkle, zurückgekämmte Haare.
    »Das ist Agent O’Malley.« Holt bewegte sich nur ein paar Zentimeter nach links. Die Frau schob das Kinn vor, warf ihm einen grimmigen Blick zu und quetschte sich durch den
    schmalen Spalt in den winzigen Raum. »Agent O’Malley, Olie Swain. Olie ist hier der Hausmeister.«
    Olie nickte höflich. Agent von was? dachte er, fragte aber nicht. Kümmer dich um deinen eigenen Kram, Leslie. Ein guter Ratschlag, wie er festgestellt hatte, egal woher er stammte. Er hatte schon früh gelernt, seine Neugier nicht auf Leute, sondern auf seine Bücher und Phantasien zu beschränken.
    »Wir möchten Ihnen nur ein paar Fragen stellen, Mr. Swain, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Megan und lockerte ihren Schal auf Grund der Wärme im Raum.
    Sie hatte Olie Swain mit einem Blick erfasst. Er besaß die Maße eines Jockeys, ein Mopsgesicht und zwei ungleiche Augen, die viel zu rund schienen. Das linke war aus Glas und starr geradeaus gerichtet, während das andere hin- und herhüpfte, wie ein Ball, der von allem, was er berührt, abprallt.
    Das Glasauge war etwas heller braun als das echte und der Augapfel strahlender weiß. Diese unnatürliche Weiße wurde betont durch das Muttermal, das sich vom Haaransatz über das obere linke Viertel seines Gesichts ausbreitete. Seine Haare waren ein Mischmasch aus Braun und Grau und starr wie die Borsten einer Scheuerbürste. Sie schätzte ihn auf Ende dreißig, 78
    und er konnte Cops nicht ausstehen.
    Das war natürlich ein Berufsrisiko. Selbst die unschuldigsten Menschen wurden nervös, wenn Cops in ihre Sphäre
    eindrangen. Aber manchmal war es auch nicht nur die übliche Nervosität. Sie fragte sich, wie das wohl bei Olie stand.
    »Wir sind auf der Suche nach Josh Kirkwood«, sagte Mitch ganz locker. »Er spielt im John-Olsen-Zwergenteam. Kennen Sie ihn?«
    Olie zuckte mit den Schultern. »Klar.«
    Das war’s. Er stellte keine Fragen, sah hinunter auf seine fingerlosen Wollhandschuhe und strich mit der rechten über die linke Hand. Typisch Olie, dachte

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