Sünden der Nacht
Familientherapie spezialisiert.«
»Ich hab was Besseres zu tun.« Paul biß immer noch die Zähne zusammen.
»Bitte, ich wollte dich nicht beleidigen, Paul.« Wright streckte seine Hand nach ihm aus. »Man will doch nur helfen.«
»Wenn du helfen willst, dann komm morgen früh zur Ryan’s Bay. Solche Hilfe brauchen wir, nicht irgendeinen sündteuren Seelenklempner in Edina.« Er wandte sich zu Karen. »Also bis morgen früh in der Zentrale!«
Karen nickte, den Blick auf den Boden gerichtet. »Ich werde dasein.« Sie blieb mit angehaltenem Atem stehen, bis die Tür der Garage ins Schloß gefallen war.
»Das war nicht sehr taktvoll von dir, Garrett«, ermahnte sie ihren Mann.
»Wirklich? Ich fand es sehr großzügig, wenn man so alles in Betracht zieht.«
Am Spülbecken strich er mit einem Finger über das nasse Glas auf dem Abtropfblech, nahm dann das ordentlich gefaltete grünkarierte Geschirrtuch, trocknete das Glas ab und legte das Tuch wieder zusammen.
»Du solltest etwas vorsichtiger sein mit den Sachen, die du herumliegen läßt«, er hob das Tuch hoch.
Das Tuch, das Paul ihr abgenommen hatte. Das Tuch, mit dem er sie an sich gezogen, das er sich immer fester um seine Fäuste gewunden hatte.
Das Tuch, das er im Wäscheraum auf den Boden hatte fallen lassen. Karen sagte nichts. Garrett legte es auf die Arbeitsfläche und verließ den Raum.
Kapitel 28
TAG 8 21 Uhr 03, -34 Grad, Windabkühlungsfaktor: -48 Grad
Mitch starrte auf das Nachrichtenbrett an der Strategieraum-Wand, bis die Botschaften des Kidnappers wie ein Kaleidoskop durch seinen Kopf wirbelten. Er stemmte die Ellbogen auf den Tisch, legte seinen Kopf in die Hände und trachtete danach, sich die Müdigkeit aus den Augen zu reiben. Vergeblich. Sie saß weit tiefer, hämmerte gnadenlos auf ihn, ein kalter, schwarzer Prügel, der ihn in der Mangel hatte, um seine Logik, seine Objektivität aus dem Lot zu bringen. Er fühlte sich launisch, gemein und gefährlich. Die Erschöpfung weichte die harte, schützende Schale der Beherrschung auf und gestattete Schuldgefühlen und Verunsicherung einzudringen, wie giftiger Schlamm. Schuldgefühle. Er hatte den Ausdruck auf Hannahs Gesicht gesehen, als Paul ihr seinen Vorwurf, genauso grob wie das Feuereisen an die Wand, vor die Füße geschleudert hatte. Ein Ausbruch von Schmerz, aber darunter Schuldgefühle. Sie machte sich selbst genauso viele Vorwürfe, wie Paul ihr. Er wußte genau, was sie empfand -, die unentwegte, sinnlose Selbstbestrafung, der Schmerz, der so vertraut wurde, daß man ihn auf eine perverse Art fast nicht mehr loslassen wollte.
»Du solltest vielleicht deine Knöchel versorgen lassen«, sagte Megan leise. »Der Himmel weiß, was für ekliges Zeug in Steigers Körperflüssigkeit herumschwirrt. Ich bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Willst du mitkommen?«
Mitch riß seine Hände vom Gesicht und klatschte sie auf den Schreibtisch. Er wußte nicht, wie lange sie schon da stand, an den Türrahmen gelehnt, während er mit seinen inneren Dämonen kämpfte. Sie kam in den Konferenzraum, die Augen auf Halbmast und massierte sich ihren verspannten Nacken.
»Mir geht’s gut.« Mitch warf einen Blick auf seine Handknöchel, die er sich aufgeschürft hatte bei der Bearbeitung von Steigers Nase. »Ich hab meine Tetanusimpfung.«
»Eher dachte ich an Tollwut oder Maul- und Klauenseuche«, frotzelte sie und hockte sich auf eine Tischkante ihm gegenüber.
»Warum fährst du denn ins Krankenhaus?«
»Ich werfe mein Schleppnetz nach Verdächtigen aus. Natürlich haben wir da schon alle vernommen, aber ich möchte ein bißchen weiterwühlen. Hannah glaubt nicht, daß irgendeiner ihrer Patienten oder deren Familien so weit gehen könnten, Josh zu entführen. Aber ich glaube, die Sache ist es wert, noch mal überprüft zu werden. Hannah ist sich vielleicht keiner Feindseligkeit bewußt, aber ich wette zuversichtlich, daß das Pflegepersonal mir ein oder zwei Namen nennen kann. Jeder wird von irgend jemandem gehaßt.«
»Zynikerin.«
»Realistin«, verbesserte ihn Megan. »Ich bin lange genug in diesem Job, um zu wissen, daß Menschen letztendlich egoistisch, verbittert und rachsüchtig sind, wenn nicht sowieso total über den Jordan.«
»Und dann ist da unser Typ.« Mitch erhob sich aus seinem Stuhl, die Augen auf das Nachrichtenbrett gerichtet. Sein Blick streifte über jede Zeile, und er spürte, wie seine Nackenhaare sich aufstellten, »das Böse«.
Das Böse. Das, was sie von Anfang an
Weitere Kostenlose Bücher