Sünden der Nacht
schnaubte. »Russ Steiger. Sheriff von Park County. Leo war ein Mordstyp.«
»Ja, der ist aber jetzt tot, und wir haben einen Job zu erledigen«, sagte sie. Sie hatte die Nase gestrichen voll von den Lobgesängen auf Leo. »Machen wir uns an die Arbeit, bevor die Presse auftaucht.« Sie drehte ihm bewußt den Rücken zu, dann wandte sie sich ebenso bewußt wieder ihm zu, so als wäre ihr gerade noch etwas eingefallen.
»Wenn Ihre Männer etwas auf dem Jahrmarkt finden, Sheriff, dann geben Sie’s an mich weiter. Ich werde die Suche in der Einsatzzentrale koordinieren.«
Sie holte tief Luft. Müdigkeit drückte wie ein Mühlstein auf ihren Nacken. Nicht gerade die idealen Bedingungen, um sich mit den hiesigen Jungs anzufreunden. Jede Sekunde würde sie in der Offensive sein müssen, oder unter einer Herde von Stiefeln Größe 46 zertrampelt werden – eine Version, die sie gar nicht brauchen konnte. Jedesmal wenn sie die Augen schloß, sah sie Josh Kirkwood vor sich, der sie aus seinem Drittklassefoto angrinste. Sie konnte seine Mutter sehen,
das bildschöne Gesicht von Schuldgefühlen und entsetzlicher Angst verzerrt, die Megan ahnungsweise verstand.
Schmerz bohrte sich wie ein Stachel über ihr rechtes Auge. Sie hatte ein ganz ungutes Gefühl bei diesem Fall. Entführungen gingen selten glimpflich aus. Die Nachricht, die sie in Joshs Tasche gefunden hatten, läutete wie die Glocke der Verdammnis durch ihren Kopf: Unwissenheit ist nicht Unschuld, sondern SÜNDE.
Die Nachricht war getippt, das deutete auf Planung und die ganze Idee von Entführung stand nach ernsthaft krankem Kopf. Sie fragte sich, ob sie es mit einem Ortsansässigen oder einem Herumtreiber zu tun hatten, jemandem, der schon mit der Gemeinde vertraut war oder einem, der sich nur so lange hier aufgehalten hatte, bis er alle Gewohnheiten der Stadt kannte. Oder vielleicht war der Täter jemand, der sich entlang der Interstate Highways herumtrieb und sich je nach Gelegenheit oder Laune ein Kind schnappte. Vielleicht hatte er ein ganzes Handschuhfach voller getippter Zettel, um die Herzen der Hinterbliebenen in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Möglichkeiten waren grenzenlos und ließen einem das Blut in den Adern gefrieren.
Einem Cop wurde Schritt und Tritt von Anfang an eingebläut, sich nicht gefühlsmäßig in einem Fall zu engagieren. Ein guter Rat, aber verdammt schwer zu befolgen, wenn das Opfer ein Kind war. Megan drehte sich das Herz um bei dem Gedanken, daß ein kleiner Junge in weiß Gott was für ein Grauen verschleppt worden war. Sie wußte, was es hieß, klein und allein zu sein, verängstigt und sich verlassen zu fühlen. Diese Erinnerungen an ihre eigene Kindheit trudelten wie Öl auf Wasser auf dem Grund ihrer Seele.
Jemand schrie zu Megans Rechten und holte sie gerade rechtzeitig in die Wirklichkeit zurück. Zwei Mischlingshunde stürmten mit blitzenden Augen und hechelnden rosa Zungen auf sie zu. In letzter Sekunde schwenkte der eine nach links und der andere nach rechts, aber ihr muskulösen Körper streifen ihre Beine und warfen sie flach auf die Straße.
»Ach verflucht, sie sind hinter einem Hasen her!« Ein Mann, der aussah wie ein Waldschrat im Schneeanzug, schaute verärgert zu Megan hinunter und reichte ihr seine Hand. »Tut mir leid, Miss.«
»Agent O’Malley«, sagte sie automatisch und schnitt eine Grimasse, als er ihr auf die Beine half.
»Art Goble. Entschuldigen Sie mich, Miss, ich muß Heckle und Jeckle einfangen.«
»Heckle und Jeckle?« Sie sah ihm nach, wie er den Hunden nachsauste, und ihr Herz wurde noch schwerer. »Jesus, Maria und Josef.«
»Was Besseres konnten wir vorläufig nicht auftreiben«, sagte Mitch. Er hatte seinen Explorer in der Feuerwehranfahrt vor der Eishalle abgestellt. »Ich hab den Club der Freiwilligen mit Suchhunden und die Hundeeinheit in Minneapolis verständigt. In spätestens zwei Stunden sind sie hier.«
Die Herausforderungen der Polizeiarbeit im Hinterland, Megan seufzte. »Das mobile Labor ist unterwegs, und die Hubschrauber sollten innerhalb einer Stunde eintreffen. Wie geht es den Eltern?«
Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Hannah ist verzweifelt, Paul wütend. Beide wissen nicht aus noch ein. Ich hab Natalie dortgelassen, daß sie Ihre Techniker empfängt.«
»Gut. So wird alles viel glatter gehen.«
»Paul kommt her, um bei der Suche zu helfen.«
Megan kniff die Augen zu und stöhnte.
»Ich weiß, ich weiß«, murmelte Mitch. »Aber ich konnte ihn
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