Sünden der Nacht
nicht davon abhalten. Er braucht das Gefühl, nützlich zu sein.«
»Ja, also, wenn wir wüßten, wo wir nicht nach Josh suchen müssen, könnten wir ihn dorthin schicken.« Sie sah ein, daß ein Vater das Bedürfnis hatte, in einer solchen Situation etwas Sinnvolles zu tun, aber keiner wollte, daß ein Vater die Leiche seines Kindes entdeckte oder daß ein Zivilist ungewollt Beweismaterial übersah oder zerstörte.
»Er geht zur Nachhut bei den County Jungs. Haben sie angefangen?«
»O ja, Wyatt Earp und ich haben sie so richtig in Fahrt gebracht«, erwiderte sie näselnd.
»Sie haben Russ kennengelernt?«
»Ein wirklich charmanter Kerl. Wenn ich ein Fisch wäre, hätte er mich angewidert zurückgeworfen.«
»Sagen Sie ja nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.«
»Das werde ich noch im Schlaf hören«, maulte sie. »Wenn ich je wieder welchen finde. Das wird wohl eine lange Nacht.«
»Ja, und sie wird noch länger«, schnarrte Mitch, als ein Übertragungswagen von TV 7 vor ihnen an den Randstein rollte. »Hier kommt die Vorhut. Scanner für Zivilisten sollten gesetzlich verboten werden.«
»Gilt das auch für die Medienmeute? Das kann doch wohl nur eine menschliche Abart sein.«
Die Fernsehleute ergossen sich aus dem Van, wie die Truppen bei der Landung in der Normandie. Techniker packten Geräte aus, schalteten
gleißende tragbare Scheinwerfer ein, warfen Kabelrollen auf den Gehsteig. Die Beifahrertür öffnete sich, und der Star trat heraus, ganz Glamour Girl mit viel zu blauen Kontaktlinsen, die dichten, dunkelblonden Haare zu einem starren Helm gesprüht, der Wind und Wetter trotzte. Sie trug einen todschicken blauen Anorak und einen ebenso todschicken Pullover und dunkelblaue Leggings, die in hohen Lederstiefeln steckten. Der letzte Schrei für Reporter, die im Winter hinter Elend und Tragödien herjagen.
»O Scheiße«, zischte Mitch mit zusammengebissenen Zähnen. »Paige Price.«
Er war kein großer Freund von Reportern, und er wußte nur allzu gut, daß diese Dame hungrig, ehrgeizig und absolut rücksichtslos war, wenn es um eine Story ging. Sie würde alles tun für einen echten Wurf, neue Beweise, jegliches Indiz, das ihr einen Vorsprung zur Konkurrenz verschaffte.
»Chief Holt!« Paige Price’ Lächeln war genau der Situation angepaßt, kurz, geschäftlich, ganz das Gegenteil des Funkelns in ihren Augen. »Könnten Sie ein paar kurze Worte zu dieser Entführung formulieren?«
»Wir werden, falls nötig, morgen früh eine Pressekonferenz geben«, sagte er knapp. »Derzeit sind wir sehr beschäftigt.«
»Natürlich. Es wird nur einen Moment dauern«, sagte sie rasch. »Nur ein paar kurze Sätze.«
Sie wandte sich Megan zu, mit vor Neugier glänzendem Blick. Rasch setzte sie ihre beste besorgte Miene auf, voller Mitgefühl: »Sind Sie die Mutter des Jungen?«
»Nein, ich bin Agent O’Malley vom Bureau of Criminal Apprehension.«
»Sie müssen neu sein?« fragte sie nachdrücklich.
»Beim Bureau, nein. In Deer Lake, ja. Das ist mein erster Tag hier.«
»Wirklich. Was für ein furchtbarer Einstieg in einen neuen Job!« Die Platitüden flossen ganz automatisch von ihren Lippen, während sie die Dateien in ihrem Kopf durchging auf der Suche nach etwaigen Hinweisen. »Ich kann mich nicht erinnern, je von einem weiblichen Field Agent gehört zu haben. Ist das nicht ungewöhnlich?«
»Könnte man sagen«, Megan klang leicht bissig. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen, Miss Price, ich habe zu arbeiten. Und überhaupt ist das Chief Holts Ermittlung«, fügte sie hinzu. Damit war der Ball zurück in Mitchs Spielfeld, sein giftiger Blick traf sie in voller Breitseite.
Trotzdem behielt sie die Reporterin im Auge. Einer Kobra, die sich anschickte zuzubeißen, drehte man nicht den Rücken. »Wir sind dankbar für jede Unterstützung, die die Medien uns geben können, um Joshs sichere Heimkehr zu gewährleisten.«
Damit überließ sie Mitch seinem Schicksal und begab sich in die relative Wärme der Eisbahn, um dort auf die Ankunft der Tatorteinheit zu warten. Sie war ungeheuer erleichtert, Paige Price’ manikürten Klauen entronnen zu sein. Das Bureau hatte es sich zur Politik gemacht, sich bei Ermittlungen im Hintergrund zu halten und die Publicity und die Lorbeeren dem ortsansässigen Polizeichef oder Sheriff zukommen zu lassen, da wo sie hingehörten. Die BCA war ein Arbeitspferd im Dienste der Lokalbehörden, keine Organisation von Divas, die nur darauf warteten, im Rampenlicht zu
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