Sündenkreis: Thriller (German Edition)
stets aufs Neue einsetzen, um eine angenehme Grundhaltung herzustellen.
Melinda Weiß’ Mund verzog sich ganz leicht. Sie erwiderte das Lächeln nur kurz, bevor sie in sich zusammensackte. Die Hände hatte sie im Schoß gefaltet, die Finger kneteten einander. Romain Holländer konstatierte, dass die Frau anscheinend ein größeres Problem hatte. Außerdem handelte es sich meist um etwas Ernstes, wenn Kinder des Himmels außerhalb der Andachten um ein Gespräch beim Prinzipal nachsuchten. Damit sie auf seine Einflussnahme ausreichend reagierte, musste er jedoch zuerst die vertrauensvolle Stimmung noch ein bisschen ausbauen.
»Du hast unsere Sarah bei dir aufgenommen, nicht wahr?«
»Ja. Am Wochenende ist sie bei mir eingezogen.«
»Wunderbar. Das ist ein Segen für Sarah und für die Gemeinschaft. Danke, Melinda.« Erneut platzierte er seine Handfläche auf der knochigen Frauenschulter, ließ sie einen Moment lang ruhen, während er weitersprach. »Das war sehr großzügig von dir, und du hast uns allen damit einen Dienst erwiesen. Wie kommt ihr miteinander aus?«
»Gut.« Melinda holte tief Luft. »Aber das ist es nicht, weswegen ich hier bin.«
»Dann erzähle mir jetzt, worum es geht. Vertrau mir.« Romain Holländer lehnte sich zurück, legte die Arme locker auf die Armlehnen und machte sein väterliches Gesicht.
»Ich mache mir große Sorgen.« Sie zögerte kurz und schluckte, ehe sie fortfuhr. »Um Frieder.«
»Frieder Wörth?« Die Frage war zu aggressiv aus ihm herausgerutscht, und Romain Holländer sah Melinda Weiß zusammenzucken. Sie presste die Lippen aufeinander. Ihre Finger verkrampften sich noch mehr. Jetzt hatte er die Frau verschreckt. Er musste sich stärker kontrollieren.
»Unseren Frieder?«
»Ja.«
»Was ist denn mit ihm? Sag es mir, und dann überlegen wir uns, wie wir ihm helfen können.«
Melinda Weiß rutschte auf dem Sessel hin und her. Mit dem rechten Zeigefinger und Daumen zupfte sie an einem Nagelhäutchen des linken Mittelfingers. »Ich … er …«
Romain Holländer wartete geduldig. Sie würde damit herausrücken. Alle rückten sie irgendwann mit ihren Geheimnissen heraus.
»Frieder verlässt die Gemeinde.«
»Er will sich von den Kindern des Himmels trennen?«
»Nein, nein … Ich … So habe ich es nicht gemeint.« Das Nagelhäutchen riss ab. Ein stecknadelkopfgroßer Blutstropfen quoll hervor und wurde größer. Melinda Weiß schien es nicht zu bemerken. »An manchen Abenden schleicht er sich davon und kommt erst morgens wieder.«
»Weißt du, wohin er geht?« Romain Holländer versuchte zu atmen, ohne dass sich seine Schultern hoben und senkten. Die Frau sollte nicht den Eindruck gewinnen, er rege sich über das Gespräch auf.
»Nein. Nur dass es in den letzten Wochen immer öfter passiert ist.« Die Finger hatten wieder angefangen, sich umeinander zu schlingen.
»Und du hast das beobachtet?«
»Ich … ich mag ihn.« Melinda Weiß errötete und schaute zu Boden. Romain Holländer verbarg sein Staunen und registrierte die Information. Die Frau hatte ein Auge auf Frieder Wörth geworfen. Sie war also doch nicht so geschlechtslos, wie es ihre Aufmachung vermuten ließ. Beziehungen zwischen den Gemeindemitgliedern waren nicht verboten, sondern sogar ausdrücklich erwünscht. So etwas festigte den Zusammenhalt und verhinderte, dass sich die Leute außerhalb der Gemeinschaft nach Sexualpartnern umsahen.
»Und jetzt machst du dir Sorgen um Frieder.« Ein leichtes Rucken ihres Kopfes. »Es war sehr gut, dass du damit zu mir gekommen bist, Melinda.« Romain Holländer fixierte das Gesicht der Frau. »Hast du sonst noch jemandem von deinen Beobachtungen erzählt?«
»Nein.« Er konnte an ihrer Mimik erkennen, dass sie die Wahrheit sagte.
»Wir lösen das Problem. Mach dir keine Sorgen.« Schultergriff. Fürsorglicher Tonfall. »Jetzt werde ich dir dabei helfen, dich zu entspannen. Hab keine Angst. Dies ist keine Hypnose.« Er prüfte ihre Mundwinkel und die Fältchen um die Augen. Hatte sie den Satz verinnerlicht? »Dies ist keine Hypnose« war die entscheidende Botschaft. Obwohl das, was er gleich mit Melinda Weiß veranstalten würde, nichts anderes als eine klassische Hypnose war, glaubte jeder Angesprochene, dass dem nicht so wäre. Es war ganz simpel. Das Unterbewusstsein kannte das Wörtchen »kein« nicht. Es hörte »Hypnose« und stellte sich darauf ein. Genauso, als ob man jemandem befahl, jetzt nicht an einen rosa Elefanten zu denken – das Bild des rosa
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