Suendhaft
aufrecht zu gehen. Sie sollen nicht merken, wie durcheinander ich bin. Ich will das hier so schnell wie möglich hinter mich bringen und mir den Vertrag ansehen, bevor mich der Mut verlässt und ich diesen Ort wirklich fluchtartig verlasse. Wie konnte es nur so weit kommen, dass ich ernsthaft überlege, ein Zimmer in dieser abgefahrenen WG zu beziehen? So entsetzt, wie ich das erste Mal war, als Liam mir von dem Zweck der Wohngemeinschaft erzählt hat, so neugierig bin ich jetzt auf das, was kommen mag. Über die Grenze des „Normalen“ bin ich sowieso längst hinweg. Nichts ist mehr normal, seit ich die drei Männer kenne. Und genau das ist es, was gerade anfängt, mir Spaß zu machen.
Ich suche die Zimmernummer auf der Schlüsselkarte, betrete den Aufzug und drücke auf den Knopf für die dritte Etage. Die Aufzugtüre schließt sich bereits, als noch ein junges Pärchen in den Aufzug stürmt. Sie scheinen Mitarbeiter der Spielefirma zu sein, denn beide tragen Buttons mit der Aufschrift „AmaroGames Staff“.
„Geile Party, oder?“, sagt der Mann.
Ich nicke.
„Diese Musik“, schwärmt seine hübsche dunkelhaarige Begleiterin. „Alexander Gabriel ist wirklich ein Genie. Es hat so viel Spaß gemacht, mit ihm zusammen zu arbeiten.“
„Stehst du etwa auf den?“, neckt der junge Mann sie.
„Na, von der Bettkante schubsen würde ich ihn nicht. Er hat eine unglaubliche Ausstrahlung. Finden Sie nicht auch?“, wendet sie sich an mich.
Ich zucke mit den Schultern.
„Na hör mal“, ihr Freund knufft sie in die Seite. „Spinnst du? Willst du mich etwa eifersüchtig machen?“
„Nein, nein“, lacht seine Freundin. „Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern. Er hat sich kein bisschen für mich interessiert. Ich glaube, er lebt nur für seine Musik.“
Wenn du wüsstest, denke ich und steige aus d em Aufzug.
Aber sie hat recht, Alexander hat wirklich eine unglaubliche Ausstrahlung, wenn er in seinem Element ist. Was würde sie wohl dazu sagen, wenn sie wüsste, dass er mich will? Und nicht nur er…
Was meine Freundinnen wohl zu meiner Situation sagen würden? Ich will es lieber gar nicht wissen.
Ganz kurz überlege ich, ob ich nicht eine von ihnen anrufen und alles erzählen soll. Aber was dann? Entscheiden muss ich mich sowieso selbst und eigentlich ist es besser, wenn niemand davon weiß.
Vor Zimmer 311 bleibe ich stehen. Hier ist es. Ich atme noch einmal tief durch. Dann straffe ich die Schultern, öffne die Tür mit der Chipkarte und betrete das Zimmer.
Das Zimmer ist sehr stilvoll eingerichtet , mit einem Kingsize Bett, einem großen Flachbildfernseher, einer kleinen Sitzecke und einem Sekretär, auf dem ein schwarzer DIN A4 Umschlag, ein Kugelschreiber und eine kleine schwarze Schachtel liegen. Ich ignoriere den Umschlag und gehe erst einmal ins Badezimmer. Prüfend betrachte ich mein Spiegelbild in dem großen Badezimmerspiegel.
Alles ok . Du siehst gut aus, denke ich.
Das rote Kleid, das ich mit Liam gekauft habe, um Tobias zu ärgern, steht mir wirklich gut. Einige kleine rote Flecken auf meinem Dekolleté verraten meine Aufregung, ansonsten kann man von meiner Angespanntheit nichts erkennen. Zumindest nicht äußerlich.
Ich erleichtere meine Blase . Dann beschließe ich, erst einmal nachzusehen, was die Minibar so hergibt, bevor ich den schwarzen Umschlag öffne.
Bah, schmeckt das bitter. Angeekelt verziehe ich das Gesicht.
Was sind das für Leute, die Whiskey mögen?
Die kleine Flasche hatte den höchsten Prozentsatz an Alkohol, deshalb habe ich sie genommen. Aber geschmeckt hat die gelbe Flüssigkeit nicht.
Los Caroline, jetzt lenk nicht ab. Mach den Umschlag auf!, flüstert mein Kopf.
Mir ist leicht übel, als ich mich dem Schreibtisch nähere und den Umschlag in die Hand nehme. Besonders schwer ist er nicht.
Mit zitternden Fingern reiße ich den Umschlag auf und ziehe den Inhalt heraus.
Tief durchatmen, Caroline!
Ich schließe ganz kurz die Augen und lese dann die erste Seite, eine handschriftliche Notiz von Liam.
Liebe Caroline,
ich freue mich sehr darüber, dass du diesen Umschlag geöffnet hast.
Lies ihn dir in Ruhe durch und entscheide dann. Wir zwingen dich zu gar nichts.
Aber falls du unterschreibst, verspreche ich dir, dass du es nicht bereuen wirst.
Liam
P.S.: Ich weiß, dass du Probleme damit hast, dich von uns bezahlen zu lassen (du hast es oft genug erwähnt), deshalb habe ich diesen Punkt etwas angepasst. Wir würden
Weitere Kostenlose Bücher